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In eigener Sache
Copyright ©DS - DEUTSCHES ALLGEMEINES SONNTAGSBLATT Debatte vom 14. Februar 1997
- LESER, FACHLEUTE UND JOURNALISTEN DISKUTIEREN -
Verzicht auf das Credo?
Das Glaubensbekenntnis enthält Aussagen, die heute schwer
verständlich sind. Ist das gemeinsame Bekenntnis überholt? Oder bietet
es gerade die Basis für einen gemeinsamen, christlichen Glauben?
- P R O -
Abschied nehmen von vertrauten Denkbarrieren
Gerd Lüdemann, Theologieprofessor an der Uni Göttingen
Das Glaubensbekenntnis abschaffen? Was für eine hypothetische
Diskussion. Innerhalb unserer Kirchen führt man sie nur unter der
Bedingung, daß das Glaubensbekenntnis doch niemals beerdigt wird.
Diejenigen, die über die Frage rein akademisch diskutieren dürfen,
gleichen Figuren in einem Sandkasten, dessen Bretterbegrenzung die
Kirchenleitungen sorgfältig hüten. Die Größenordnungen sind
festgelegt: Würden die Figuren zu Menschen und so aus dem Sandkasten
herauswachsen, wären die Spielregeln verletzt. Doch die Lage ist sehr
ernst: Im Wirrwarr der Interpretationen bleibt dunkel, was wir
wirklich glauben.
"Auferstanden von den Toten" verstehen manche als
geschichtliches Ereignis, andere wollen die Auferweckung gerade nicht
so aufgefaßt wissen. Sie fügen allerdings sofort hinzu, in dem Bild
der Auferstehung würde unverzichtbar gesagt, worauf es im christlichen
Glauben ankommt. Aber woran macht sich dieses Bild fest, wenn Jesus
nachweislich starb und nicht auferstand? Hier liegt, wie bei allen
anderen Artikeln des Glaubensbekenntnisses, ein ungeheurer
Klärungsbedarf vor. Ich will verstehen und darum wissen, was ich
glaube. Es handelt sich hier nicht um Interpretationen und
Vorläufigkeiten, sondern um die letzten Fragen. Wir leben nur ein
einziges Mal und müssen wissen, worauf es ankommt.
Zu leben bedeutet ein Wagnis eingehen, loslassen und vom sicheren
Ufer abstoßen, ins Unbekannte vordringen. Es bedeutet auch, nein zu
sagen und Abschied von den vertrauten Denkbarrieren zu nehmen. Doch
das Brett vor dem Kopf ist noch einmal aus anderem Holze gemacht als
der Balken im Auge: Jenen spürt man vielleicht nicht einmal. Das Brett
aber, obwohl es drückt, erscheint trotzdem nötig. Es wird scheinheilig
bejaht, gerade weil es Neugierde, Wissensdurst und sogar die Sehnsucht
nach dem Leben selbst blockiert.
- K O N T R A -
Das Bekenntnis verbindet Christen und Kirchen
Wilhelm Sievers, Bischof von Oldenburg
Die Diskussion um das Glaubensbekenntnis wird entschieden bestimmt
von dem Ausgangspunkt der Meinungsbildung. Setzt man bei dem
Verständnis des einzelnen Christen an, dann wird man sehr leicht dem
Verzicht das Wort reden, denn das Credo enthält manche Aussagen, die
schwer verständlich sind. Es braucht Erklärungen, wie sie schon Luther
in seinem Kleinen Katechismus für seine Zeit gegeben hat. Es scheint
aber nicht möglich zu sein, in unserer Zeit eine neue Formulierung des
christlichen Glaubens zu entwickeln, die eine allgemeine Zustimmung
finden würde. In den sechziger Jahren unternahm man unendlich viele
Versuche, aber es hat sich keine neue Bekenntnisformulierung
durchgesetzt.
Geht man davon aus, daß das Glaubensbekenntnis das gemeinsame
Bekenntnis der Kirche ist, dann verändert sich auch der
Bewertungsrahmen. Das Bekenntnis ist das Verbindende zwischen den
Christen und den Kirchen. So hat es seinen festen Platz im
Gottesdienst. Für die Annäherung der getrennten Kirchen ist es
wichtig, daß sie dieses gemeinsame Bekenntnis haben. Es ist ein
bleibender Stachel, sich nicht mit der Trennung der Kirchen
zufriedenzugeben, sondern in dem gemeinsamen Bekenntnis liegt die
Verpflichtung, auch zusammenzufinden bei aller Pflege gewachsener
Frömmigkeitsformen.
Für den einzelnen Christen ist es wohl immer so gewesen, daß er
eine unterschiedliche Nähe zu einzelnen Aussagen des Bekenntnisses
gehabt hat. Der persönliche Glaube ist nicht deckungsgleich mit dem
Glauben aller Christen in der Kirche. Darin liegt ja zugleich auch ein
Spannungsmoment, daß der Glaube zu neuen Einsichten gelangen kann. So
werden auch auf den unterschiedlichen Lebensstufen und bei besonderen
Lebenserfahrungen einzelne Glaubensinhalte in den Vordergrund treten
und ihre tragende Bedeutung für das Leben eines Christen haben.
- L E S E R - D I S K U T I E R E N -
Reichtum
Wir Christinnen und Christen haben einen Glauben, der uns von
anderen Religionen unterscheidet. Wir glauben an einen Gott, der Einer
ist und Viele, der Vielfalt und Einheit in sich birgt; ein Gott, der
allmächtig ist und uns dennoch absolute Freiheit läßt, der der
Schöpfer allen Seins ist und uns dennoch die Verantwortung übergibt,
mit seinem (Schöpfungs-)Reichtum umzugehen. Wir bekennen uns zu einem
Gott, der in seinem Sohn Mensch geworden ist und sich so in
unvergleichbarer Hinsicht mit dem Menschen solidarisch erklärt hat,
mit dem Menschen gemein geworden ist; ein Gott, der in seinem Heiligen
Geist permanent bei uns Menschen ist.
Ich will auf dieses Glaubensbekenntnis nicht verzichten. Ich
möchte diesen Reichtum, den der christliche Glaube in sich birgt,
nicht aufgeben. Auch dann nicht, wenn ich gleichzeitig davon überzeugt
bin, nicht aussagen zu können, wie oder wer Gott wirklich ist - ich
kann es nur glauben.
Walter Hans Jungbauer, Berlin
Abenteuerlich
Heute bauen sich Heiden, Sekten und auch Christen phantastische
Traumhäuser aus zusammengewürfelten weltanschaulichen Bausteinen
zusammen. Bei Glaubensgesprächen kann man bei vielen Christen
abenteuerliche Wanderungen durch individuelle, verworrene
Glaubensgebäude erleben: Der christliche Glaube wird mit
Seelenwanderungslehre, Science-fiction oder Astrologie kombiniert.
Fromme Christen glauben heute an alles, nur nicht an die
Auferstehung der Toten. Jesus ist nur ein Vorbild, sein Tod und seine
Auferstehung haben weiter keine Bedeutung. Wenn man in dieser Zeit
irrwitziger Religionsbastelei das Glaubensbekenntnis abschafft,
zerstört man weiter die innere Gemeinschaft der Gläubigen und verbannt
den Heiligen Geist.
Heinz Rußmann, Lübeck
Innere Distanz
Das Credo wird eingeleitet mit "Ich glaube". Wenn ich
dieses "Glauben" als Hoffen und Vertrauen verstehe, bekommt
es eine existentielle Dimension. Ich fühle mich betroffen und
ergriffen, immer wieder neu. Nur so kann Glaube etwas ausstrahlen und
zur ansteckenden Kraft werden. Doch wann und wo ist dies beim
Apostolikum noch der Fall? Zunehmend empfinde ich den großen
zeitlichen Abstand zur Entstehung des Credos und, noch gravierender,
die innere Distanz.
Also: Das Glaubensbekenntnis abschaffen? Ich denke nein. Lieber
vertraue ich darauf, daß Gottes Geist mit der festen Formulierung
christlichen Glaubens nicht aufgehört hat zu wirken und daß dieser
Geist uns erlaubt und befähigt, das Wesentliche unseres Glaubens für
die heutige Zeit neu zu fassen. In den einzelnen Artikeln aber
wünschte ich mir statt starrer Bilder und dogmatischer Festlegungen
mehr Mut, die Unergründbarkeit und Unfaßbarkeit des Schöpfergottes zu
bekennen und vor allem das Vertrauen auf den Geist Gottes
auszudrücken, der an uns und durch uns wirken will.
K.M. Knickmann, Weißenhorn
Fundament fehlt
Die Christen haben es in diesem Jahrhundert endlich geschafft, ein
gemeinsames Fundament zu finden, das Glaubensbekenntnis. Würde diese
Gemeinsamkeit auch bei einer Reduzierung oder Abschaffung gelten?
Nehmen wir den "eingeborenen Sohn Gottes". Biologisch nicht
nachweisbar. Der Verzicht auf diesen Titel käme zwar anderen
Religionsgemeinschaften entgegen, aber wären wir dann noch
"Christen"? Streicht man sodann auch noch den rational
unverständlichen "Gott Vater", dann wären wir eine
zeitgeisthumanistische Vereinigung, aber keine christliche Kirche
mehr.
Wolfgang Oehrl, Oldenburg
Jesus fehlt
Beim sonntäglich gesprochenen Credo frage auch ich mich, ob dies
mein Glaubensbekenntnis ist. Ich empfinde, daß für mich andere
ebenfalls wichtige Elemente meines Glaubens schlichtweg fehlen. Wo ist
Jesus von Nazareth? Der Mann der Bergpredigt, der Leib und Seele
heilt, der in Vollmacht das Reich Gottes verkündet und Verkörperung
der unendlichen Menschenliebe Gottes ist. Warum wird er nicht klarer
benannt? Die alten Bilder, wie etwa die Jungfrauengeburt, nehme ich
gelassen, sie sind für meinen Glauben nicht wesentlich. Aber der
lebendige Jesus zwischen Geburt und Kreuzigung - der ist wesentlich,
und er fehlt mir im Credo.
Herta Reiß, Hamburg
Kirchenschatz
Wir brauchen die altkirchlichen Bekenntnisse, weil sie zusammen
mit Altem und Neuem Testament den umfassenden Rahmen abgeben, in dem
sich christlicher Glaube in seinem Reichtum entfalten konnte.
Streichen wir das Credo, kann jeder nach Wunsch seinen Jesus
konstruieren und seine eigene Kirche aufmachen - ob das dem
christlichen Glauben dienlich wäre? Der mit dem Credo gezogene Rahmen
umfaßt ein vielfältiges Mosaik. Nehmen wir diesen weg, geht es uns wie
den drei Blinden mit dem Elefanten: Glauben ist das, was ich in meiner
kleinen (kleinlichen?) Welt gerade wahrnehme.
Glauben ist nicht nur das Credo, aber ohne Credo ist Glauben
nichts. Eine andere Frage ist, wie weit ich den Rattenschwanz an
Auslegungen und Psychologisierungen für verbindlich erkläre oder ob
ich frei und voll Gottvertrauen mit den Bildern umgehe oder besser:
mich von ihnen inspirieren lasse. Für die Erarbeitung meiner
"Glaubensworte" brauche ich immer wieder den gleichen
Ausgangsstoff - das Credo. Es ist ein Schatz der Kirche und sollte es
bleiben.
Ulrich Palmer, Hohen Sprenz
. . . . . Zitiert . . . . .
Das Credo enthält manches, was nur aus archaischem Welt- und
Mythenbild zu verstehen ist - "Sohn Gottes", "geboren
von der Jungfrau", "niedergefahren zur Hölle".
Wichtiger empfinde ich aber das Fehlen der eigentlichen
Glaubensaussagen: von der Liebe Gottes, der Kraft für unser Leben und
für die Zukunft, die bei dem Stichwort "ewiges Leben" immer
nur jenseitig verstanden wird.
Dietrich Römer, Dannenberg
In einer Zeit, wo jede religiös auftretende Gruppierung ihre Lehre
hinausposaunt, sollten wir unser Bekenntnis als Christen klar und
deutlich formulieren und uns nicht schämen, daß wir glauben.
Norbert Bienek, Waldbrunn
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