Gerd Lüdemann's Homepage
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In eigener Sache
©DS - DEUTSCHES ALLGEMEINES SONNTAGSBLATT, 8. Mai 1998 Nr. 19/1998
Woran glaubt Gerd Lüdemann? Der selbsternannte Ketzer diskutierte
mit seinem Kollegen Hartmut Stegemann. Das Spektakel blieb aus
VON REINHARD MAWICK
"Leere Krippe - volles Grab?" steht auf den Plakaten,
die das Streitgespräch zwischen den Theologieprofessoren Gerd Lüdemann
und Hartmut Stegemann ankündigen. Gerade drei Wochen ist es her, daß
sich Gerd Lüdemann, Professor für Neues Testament, mit einem
"Brief an Jesus" in seinem neusten Buch "Der große
Betrug" endgültig vom Christentum verabschiedete.
Daraufhin forderten ihn seine Kollegen auf, er solle seine
Zugehörigkeit zur Göttinger Theologischen Fakultät überdenken.
Vielleicht erwarteten aufgrund dieser Konstellation einige der über
250 Zuhörer einen richtigen Schlagabtausch, eine Art Showdown in
Sachen Theologie.
Doch dazu kam es nicht. Beide Kollegen gingen sehr pfleglich
miteinander um. Ein wenig Stimmung kommt erst auf, als Stegemann die
Landesbesoldungskasse ins Spiel bringt, um Lüdemanns eindimensionales
Menschenbild zu karikieren. "Mir ist doch wichtig, daß ich als
Mensch nicht nur aus Haut und Knochen hier und jetzt existiere,
sondern daß ich als Hartmut Stegemann auch woanders vorkomme, zum
Beispiel bei der Landesbesoldungskasse in Hannover. Darauf lege ich
gesteigerten Wert!"
Die Menschen in der Aula lachen. Der erste Eindruck eines drögen
Gelehrten täuscht. Stegemann kann witzig sein, und sein Humor lockert
die Veranstaltung auf. Im Grunde seines Herzens aber mag er ein
solches Streitgespräch gar nicht recht ernst nehmen. Das nämlich,
worauf sein Kollege Lüdemann auch an diesem Abend mit fahler
Ernsthaftigkeit beharrt - die ganzen Geschichten mit den verwesten
Knochen Jesu und seinem keinesfalls auferstandenen, sondern vielleicht
von Schakalen verspeisten Leib nämlich - sind für den erfahrenen
Bibelforscher Stegemann tägliches Brot, berühren aber - im Gegensatz
zu Lüdemann - nicht seinen Glauben. Ungerührt gibt der renommierte
Orientalist sogar zu: "Ich halte noch viel weniger Jesusworte für
historisch echt als Sie in Ihrem letzten Buch!"
Nach solchen Äußerungen möchte Lüdemann triumphieren und stellt
eine "große Übereinstimmung" fest. Er will einfach nicht
verstehen, daß der geschätzte Kollege bei noch radikaleren
historischen Erkenntnissen nicht dieselben Konsequenzen zieht und sich
vom Christentum verabschiedet.
Für Lüdemann ist klar, und das vertritt er auch an diesem Abend:
Die historischen Fundamente, auf denen sich Bibel und Bekenntnis
gründen, sind zu schmal. Die Auferstehung Jesu gab es nicht, sie war
eine Lüge, und an eine Lüge könne man nun mal nicht glauben. Außerdem
wollte Jesus selbst gar nicht der Messias, der Christus, sein. Das
haben sich alles die ersten Christen ausgedacht. Er, Lüdemann,
versteht sich als "Anwalt der Juden damals", die schon
gleich wußten, daß die Sache Jesu nicht für eine neue Religion taugen
würde.
War John F. Kennedy gar kein Berliner?
Stegemann merkt, daß sein Beispiel mit der Besoldungskasse nicht
gefruchtet hat. Also versucht er es anders: "John F. Kennedy kam
vor 35 Jahren nach Berlin und sagte vor aller Welt: Ich bin ein
Berliner! Sie, Herr Lüdemann, kommen mir vor wie einer, der in 1000
Jahren das Meldeverzeichnis von Berlin ausbuddelt, Kennedys Namen
nicht findet und stolz feststellt: "Er war kein Berliner!"
Wieder Gelächter.
Lüdemann kann über solche Ironie gar nicht lachen, sondern wittert
Morgenluft: "Also geben Sie zu, daß das alles bloß symbolisch
ist? Wie aber können Sie zu einem bloßen Symbol beten?" Stegemann
schüttelt den Kopf: "Was heißt denn hier bloßes Symbol? Sie haben
ein rein auf die Physis reduziertes Menschenbild. So geht das doch
nicht! Natürlich, mein Fleisch wird vergammeln, aber das macht doch
nichts. Für einen Christen ist der Tod völlig unwichtig. Ich glaube,
es gibt nichts von uns, was nicht einbezogen ist in das Heil und das
ewige Leben."
Lüdemann resigniert. Warum möchte sein geschätzter älterer Kollege
- und daß die beiden keinerlei persönlichen Groll gegeneinander hegen,
ist augenscheinlich - auf einmal nicht mehr wissenschaftlich
argumentieren? "Das sind für mich ungezügelte
Unsterblichkeitsphantasien", schießt Lüdemann zurück, "Sie
sind ja richtiggehend nekrophil!" Stegemann winkt ab, darauf zu
antworten hat er keine Lust mehr.
So plätschert es eine Weile weiter, und die beiden Kontrahenten
drehen sich im Kreis. Lüdemann mag von seinem historistischen
Exaktheitspathos nicht lassen. Stegemann dagegen vertritt mit
Vehemenz, daß die historische Beweisbarkeit der biblischen
Überlieferung eben nur die eine Seite der Medaille ist und daß der
christliche Glaube ein Existenzvollzug ist, der gelebt werden muß, und
keine Sache wissenschaftlicher Erbsenzählerei.
Dies wird die überwiegende Zahl der deutschen evangelischen
Theologen ähnlich sehen und trotzdem, auch wenn es Lüdemann wahnsinnig
ärgert, für ihre Arbeit an den Hochschulen Wissenschaftlichkeit in
Anspruch nehmen wollen.
Das Göttinger Gespräch zeigt, daß so vorerst keine Lösung im
"Fall Lüdemann" zu erwarten ist, denn der 52jährige hat
sich, da er von den biblischen Texten immer nur wissen will, wie es
wirklich gewesen ist, auf ein sehr enges Sprachspiel versteift. Er
kämpft mit Problemen der Vergangenheit, die von der
Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts zwar nicht gelöst, aber doch
umfassend behandelt wurden.
Insofern kann man das böse Wort des Heidelberger Neutestamentlers
Klaus Berger ein wenig nachvollziehen, der vor Jahren zu Lüdemanns
Buch über die Auferstehung (These: "Das Grab war voll, der
Leichnam ist verwest") urteilte, es lese sich "wie eine
liegengebliebene Seminararbeit aus den fünfziger Jahren".
Auf der anderen Seite sollten Theologen und Kirchenführer nicht
unterschätzen, daß der für sie möglicherweise ausgestandene Konflikt
zwischen Glauben und Wissen für viele Menschen heute nicht so klar
entschieden ist. Die Vermittlungsaufgabe zwischen Glauben und
Verstehen muß eben jede Generation neu angehen.
Viele Prediger aber weichen in ihren Predigten diesen Fragen aus,
flüchten sich in erbauliche Aufrufe zum Gutmenschentum und benutzen
ungebrochen die traditionelle kirchliche Sprache. Die wird aber die
Menschen nicht erreichen, die in ihr ungeübt sind. Häufig drücken sich
Pastorinnen und Pastoren davor, die biblischen Geschichten und
dogmatischen Formeln der toten Vergangenheit zu entreißen und in der
heutigen Welt heimisch zu machen. Dies ist zwar in jeder Zeit eine
schwere Aufgabe. Wer sich ihr aber verweigert, macht es Kritikern wie
Lüdemann leicht.
Die protestantische Theologie hat spätestens seit der Aufklärung
erkannt und anerkannt, daß zu ihrer Art von Wissenschaftlichkeit neben
dem historischen Standbein auch ein religiös-poetisches Spielbein
gehört. Ohne das schwer beschreibbare Miteinander von historischer
christlicher Überlieferung und religiöser Kraft, um das stets neu
gerungen werden muß, ist Theologie in der Moderne nicht zu betreiben.
Stegemanns Argumentation lieferte reichlich Anschauung für beide
Aspekte.
Dabei müssen er und die Kirche hinnehmen, daß es die
mehrdimensionalen und dadurch komplizierten Glaubensaussagen eines
liberalen Protestantismus in der Mediengesellschaft immer schwerer
haben werden als die einfache Entweder-Oder-Botschaft der
Evangelikalen und die eng historisierende Vorgehensweise eines Gerd
Lüdemann. Das ist lästig, aber nicht zu ändern.
Äußerst vage religiöse Vorstellungen
Dennoch kann es immer wieder eine lohnende Aufgabe sein, sich mit
Kritikern wie Lüdemann auseinanderzusetzen. Dies trat auch im
Göttinger Streitgespräch deutlich zutage. Zeigte sich doch, daß
Lüdemann zwar radikal alles bezweifelt, was die christliche Tradition
lehrt, aber seine eigenen religiösen Vorstellungen bleiben äußerst
vage.
Als eine Frau aus dem Publikum Lüdemann fragte, woran er denn
überhaupt noch glaube, wenn nicht an den christlichen Gott, scheute
der sich nicht, vom Podium zu antworten: "Als ich aus Amerika
wiederkam, habe ich mich sehr an den roten Dächern Göttingens
gefreut!"
Solche Äußerungen klingen banal, scheinen aber wenigstens ehrlich.
Viele Menschen im Saal waren der Ansicht, daß Gerd Lüdemann Mitglied
der Göttinger Fakultät bleiben sollte. Seine Lossagung vom Christentum
sei doch schließlich "Privatsache". Ginge es nach den
meisten Besuchern der Diskussion, sollten sich die Göttinger auch in
Zukunft an einem Kollegen reiben, der das Problem der rechten
Zuordnung von Glauben und Wissen in eigener Person verkörpert.
Der Abend in der Aula endete pünktlich um zehn Uhr. Zwar konnte
von einer Einigung der beiden nicht die Rede sein, aber trotzdem
wirkten alle gelöst. Streitgespräche gehören zur Wissenschaft, und
gerade ein solches ziert eine Theologie, die für sich Wissenschaft in
Anspruch nimmt. Auf die Frage, wie er denn die Diskussion gefunden
habe, sagte ein junger Mann trocken: "Ich würde wohl
wiederkommen!"
©DS - DEUTSCHES ALLGEMEINES SONNTAGSBLATT, 8. Mai 1998 Nr. 19/1998