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Gerd Lüdemann, Paulus, der Gründer des Christentums, zu Klampen
Verlag, Lüneburg 2001, 270 Seiten, 19,– Euro.
Nach seinen Jesusbüchern ("Jesus nach 2000 Jahren" und
"Der große Betrug"), die den Anspruch erheben, das
aufzuführen, "was Jesus wirklich sagte und tat", hat Gerd
Lüdemann jetzt ein 270 Seiten umfassendes Paulusbuch vorgelegt. Der
Titel enthält die nicht gerade neue und originelle These seiner
Ausführungen, dass nicht Jesus, sondern Paulus der Gründer des
Christentums gewesen sei. Ansonsten betont Lüdemann, dass sein Buch in
Kontinuität zu bisherigen Forschungen stehe. Methodisch sieht er sich
der religionsgeschichtlichen Schule und ihrer Vorgehensweise
verpflichtet. Bereits im Vorwort wird "das Ziel der
Unparteilichkeit" unterstrichen und die "alleinige Absicht,
ihn [Paulus; R. H.] zu verstehen" (10). Allzu viel Verständnis
wird Paulus jedoch nicht entgegen gebracht. Denn gleichzeitig sagt
Lüdemann, der Anspruch des Apostels müsse zurückgewiesen werden.
Dieser habe "die griechische Aufklärung verteufelt" und
"Vernunft durch blinden Glauben ersetzt". Mit seiner in den
Briefen verschiedentlich erwähnten Berufung auf die Begegnung mit dem
auferstandenen Christus (Damaskusvision) sei er "einer
Selbsttäuschung erlegen" (10). So wird zu Beginn des Buches
ansatzweise ausgesprochen, worum es eigentlich geht. Es geht um
Christentumskritik. Lüdemann setzt historische Forschung zur
Distanzierung gegenüber Paulus ein, darüber hinaus zur Infragestellung
christlicher Wahrheitsansprüche. "Forschung über Paulus hat den
gleichen Vorteil wie Forschung über Jesus. Indem sie diese beiden
Gestalten aus der Anfangszeit des Christentums dorthin zurückversetzt,
wohin sie gehören - ins erste Jahrhundert -, wirkt sie befreiend und
macht eine dringend nötige Emanzipation von der christlichen
Vergangenheit erst möglich" (231). Der Verfasser schreibt als
enttäuschter "Aussteiger" aus der evangelischen Kirche, um
die Verlässlichkeit der christlichen Zeugen und die Substanz ihrer
Überlieferungen in Frage zu stellen. Man kann kein Kapitel seines
Buches verstehen, ohne dieses erkenntnisleitende Interesse zu kennen.
In zehn Kapiteln erfolgt die kritische Annäherung an Paulus (u. a.
"Chronologie und Leben des Paulus", "Paulus, der
Jude", Paulus, der Christus", "Paulus, der Gründer des
Christentums"). Die wissenschaftliche Literatur wird eklektisch
aufgegriffen. Ein wesentlicher Gedanke ist der Versuch, aufzuzeigen,
"dass Paulus und Jesus verschiedene Botschaften verkündigten. ...
Es ist völlig unbegründet, dass jemand wie Paulus sich auf Jesus
bezieht, den er niemals kennen gelernt hat" (196).
Unter einer sich sachlich und wissenschaftlich gebenden
Darstellung zum Leben und zur Theologie des Paulus (ausführliche
Zitation und Erläuterung der Texte), geht es Lüdemann um den Aufweis
der Unbegründetheit des christlichen Glaubens wie ihn Paulus verstand
und die christlichen Kirchen ihn weitertragen. "Jesus wurde gar
nicht körperlich auferweckt. Entweder verweste sein Leichnam, oder
Geier und Schakale fraßen ihn direkt vom Kreuzesbalken weg"
(222). Paulus ist "als falscher Zeuge anzusehen" (228 ff).
Hart ins Gericht geht er mit der "Sühnetheologie" des
Paulus. "Wenn Paulus ... über die Bedeutung des Blutes Jesu als
Sühnemittel für die Sünden anderer spricht, läuft es mir kalt den
Rücken herunter." Vorgeworfen wird Paulus auch eine "bizarre
Verzerrung des Judentums" (223). "Antijudaismus ist ... die
Kehrseite des 'Christus allein', gewissermaßen die linke Hand der
Christologie oder ihr Schatten" (211). Für Lüdemann war Paulus
ein nach allen Seiten offener Kleingeist, bestimmt durch "eine
auf mystische Erfahrungen gegründete Religion". Er war "der
intellektuellen Herausforderung Griechenlands nicht gewachsen"
(243). Sein Erfolg lag nicht in der Überzeugungskraft seiner
Botschaft, sondern "im Geist der Zeit" begründet. "Die
Welt war des Denkens müde geworden" (244). Immer wieder greift
Lüdemann auf Friedrich Nietzsche als Gewährsmann für seine
Überlegungen zurück. Ob er sich auf Nietzsche mit Recht berufen kann,
müsste im Einzelnen geklärt werden. Auch Albert Schweitzer und Rudolf
Bultmann werden eklektisch zur Stützung der eigenen Position
herangezogen. Ihnen wird freilich Inkonsequenz vorgehalten (224 f).
Das Buch verfolgt denunziatorische Absichten. Es endet in einem
"Epilog", den der Verfasser bezeichnenderweise unter die
Stichworte "Nachruf auf Paulus" (233 ff) stellt. Eine
stringente Argumentation fehlt dem Buch. Auch der distanzierten
Methodologie der religionswissenschaftlichen Schule wird der Verfasser
nicht gerecht. Er verwischt die Grenze und notwendige Unterscheidung
zwischen geschichtswissenschaftlicher Forschung und persönlicher
Weltanschauung, zwischen distanzierter Deskription und
religiös-weltanschaulicher Beurteilung. Im Vorwort kündigt Lüdemann
an, dass sein Buch als "Vorläufer einer größeren Arbeit" (8)
zu verstehen sei, in der alle aus seiner Sicht echten Paulusbriefe neu
übersetzt und kommentiert werden. Es wird aus seiner Feder zu diesem
Thema noch Weiteres zu erwarten sein. Seriöse Paulusforschung muss
heute auf dem Büchermarkt mit Lüdemann konkurrieren, dessen Bücher
eine erstaunliche Resonanz finden. Sie sollte sich darüber im Klaren
sein.
Reinhard Hempelmann
Antwort auf Dr. theol. Reinhard Hempelmann:
Der Verfasser ist Leiter der Evangelischen Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen in Berlin und dort zuständig für
"Grundsatzfragen, Strömungen des säkularen und religiösen
Zeitgeistes, Pfingstlerische und Charismatische Gruppen".
Wissenschaftlich hat er nicht eine Zeile über das Neue Testament
geschweige denn Paulus veröffentlicht. Trotzdem fällt er erstaunlich
apodiktische Urteile. So spricht er meinem Buch die
Wissenschaftlichkeit ab und bezeichnet es als "sich
wissenschaftlich gebende Darstellung zum Leben und zur Theologie des
Paulus", dem die Stringenz fehle und in der die wissenschaftliche
Literatur eklektisch aufgegriffen werde. Das Buch verfolge
denunziatorische Absichten und stamme aus der Feder eines enttäuschten
Aussteigers aus der evangelischen Kirche.
Ich frage erstaunt: Wer denunziert hier eigentlich wen? Wie vermag
jemand so platt wie Herr Hempelmann die Ausführungen meines Buches
gegen den Strich zu lesen? Schließlich: Wie ist es möglich, dass die
Evangelische Kirche in Deutschland einen Amateur beauftragt, mein
Paulusbuch öffentlich so verächtlich zu machen? Wenn Hempelmann am
Schluss halb triumphierend feststellt, mein Buch werde "der
distanzierten Methodologie der religionswissenschaftlichen Schule
nicht gerecht", so zeigt er damit zweierlei: a) er kennt die
religionsgeschichtliche (nicht: religionswissenschaftliche) Schule gar
nicht; b) er hat mein Buch nur flüchtig gelesen. Beispielsweise hat
vor mir noch niemand den Philemonbrief als Einstieg in die
Gedankenwelt des Paulus verwendet. (Hempelmann referiert diesen Ansatz
nicht einmal.)
Was schließlich meine eigene gleich am Anfang ausgesprochenen
Kritik an Paulus betrifft, so habe ich diese später doch eingehend
begründet, ebenso wie andere Paulusdarsteller ihre Hochschätzung des
Paulus vorweg zum Ausdruck bringen und diese dann näher ausführen.
Im übrigen ist es unwahr zu sagen, ich hätte Paulus als einen nach
allen Seiten offenen Kleingeist gezeichnet. Trotzdem verbindet sich
mit Paulus und dem auf seiner Lehre gegründeten Christentum ein
Problem für alle nachdenklichen Menschen, das mit Unterstellungen,
Denunziationen und der Ignoranz eines Herrn Hempelmann nicht aus der
Welt zu schaffen ist. Warum das so ist, habe ich in meinem Buch
gesagt.
Gerd Lüdemann.