Gerd Lüdemann's Homepage
Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 2004
Spiegel-Online
Er nannte die leibliche Auferstehung Jesu "Humbug", er
warf der Kirche Scheinheiligkeit vor, wurde dafür gemaßregelt und
verlor an der Uni Göttingen seinen Lehrstuhl für Neues Testament. Doch
auch nach seiner jüngsten Niederlage vor Gericht gibt der streitbare
Theologe Gerd Lüdemann nicht auf.
Theologe Lüdemann: "Kampf David gegen Goliath"
Die evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers sieht sich
bestätigt: "Ein Professor an einer evangelisch-theologischen
Fakultät hat ein konfessionsgebundenes Staatsamt inne, so dass es nur
konsequent ist, wenn seine bewusste Abwendung vom Christentum auch
seine Stellung in der Fakultät verändert", heißt es kühl in einem
Statement des Kirchenamtes in Niedersachsens Hauptstadt zu einem
Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg von dieser Woche im Fall
des Theologie-Professors Gerd Lüdemann, 57.
Die Stellung des Hochschullehrers zu Göttingen hat sich in der Tat
verändert, seit der Neutestamentler vor zehn Jahren bei Theologen und
Klerikern einen Sturm der Entrüstung auslöste. Weil er behauptet
hatte, was andere Theologen längst vor ihm lehrten - dass es keinen
historisch haltbaren Beweis für die leibliche Auferstehung Jesu gebe
-, musste er eine Schlacht nach der anderen gegen die Institutionen
schlagen. Ein Kampf Davids gegen Goliath, bei dem - anders als in der
Bibel - der Mann mit der Steinschleuder gegen die geballte Macht der
Philister bisher nicht viel ausrichtete.
1996 verbot ihm die hannoversche Landeskirche, Studenten zu
prüfen, die in den Pfarrdienst wollten. Bischof Horst Hirschler tat
öffentlich kund, Lüdemann tue alles, um "geschlagen" zu
werden. Zwei Jahre später distanzierte sich Lüdemann vom Christentum.
Der Kirche warf er "Scheinheiligkeit" und
"Schizophrenie" vor, weil sie etwas zu lehren verlange, was
der Wahrheit nicht entspreche. Der Gelehrte bestritt die
Gottessohnschaft Jesu und nannte dessen Lehre einen Irrtum. Daraufhin
stand neben der Kirchenleitung auch die Fakultät auf und legte dem
Kollegen mehrheitlich nahe, dieselbe zu verlassen.
Nach Darstellung von Thomas Kaufmann, Dekan der theologischen
Fakultät in Göttingen, brach der Konflikt innerhalb des
Fakultätskollegiums in dem Moment auf, als Lüdemann den Professoren
eine "perfide Doppelmoral" vorwarf: Diese trieben
historische Exegese - und bildeten dennoch Prediger aus. Der
Kirchengeschichtler wirft Lüdemann heute vor, unglaubwürdig zu sein.
"Wenn einer die Basis des Systems in Frage stellt, läge es nahe,
sich nicht von diesem System alimentieren zu lassen", sagt er.
Forschungsfreiheit kontra Bekenntnistreue
Lüdemann weigerte sich, dem Ansinnen der Kollegen und der
Kirchenführer nachzukommen. Er berief sich stattdessen auf die im
Grundgesetz garantierte Freiheit von Forschung und Lehre. Beim
Wissenschaftsministerium in Hannover aber brachte die Kirche weiterhin
erhebliche Bedenken vor und pochte auf die Bekenntnis- und Bibeltreue
theologischer Hochschullehrer. Das Wissenschaftsministerium befand, es
gebe keine rechtliche Handhabe zur Abberufung Lüdemanns.
Uni-Präsident Horst Kern präsentierte schließlich einen
Kompromissvorschlag: Lüdemann verlor seinen Lehrstuhl für Neues
Testament und rückte dafür auf einen neu geschaffenen, nicht
konfessionsgebundenen für "Geschichte und Literatur des frühen
Christentums" - ein Vorgang, der vom Verwaltungsgericht Göttingen
für rechtens erklärt wurde.
Lüdemann wollte sich damit nicht zufrieden geben. In einer
Berufungsverhandlung bestätigte das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg
nun jedoch das Göttinger Urteil. Ein Sprecher des Gerichts teilte mit,
die von Lüdemann angefochtene Veränderung des Aufgabenbereichs sei
nach dem Hochschulgesetz Niedersachsens rechtmäßig. Das
Selbstbestimmungsrecht der Kirchen sei höher zu werten als die
Freiheit der Wissenschaft. Das Staatskirchenrecht von 1949 räumt den
Kirchen als Körperschaften des Öffentlichen Rechts ein, besonders
behandelt zu werden.
"Festlegung auf religiöse Intoleranz"
Gegenüber SPIEGEL ONLINE kündigte Lüdemann nun an, er wolle beim
höchsten Gericht in Revision gehen. Statt nur auf Verträge zwischen
Landesregierung und Landeskirchen zu fokussieren, müsse das
Bundesverwaltungsgericht die Verfassung stärker berücksichtigen. Und
die, so Lüdemann, garantiere jedem Deutschen, dass ihm wegen seines
Glaubens keine Nachteile bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes
widerfahren dürfe.
Da die Bekenntnisschriften der Kirche nicht auf historisch
verifizierbaren Wirklichkeiten beruhten, könne er sich als
Wissenschaftler nicht auf sie verpflichten. Dekan Kaufmann dazu:
"Ein Theologieprofessor wird gar nicht auf das Bekenntnis
vereidigt, sondern auf das Grundgesetz und die Landesverfassung."
Kaufmann räumt ein, die Einklagbarkeit der Bekenntnistreue sei
"durchaus schwierig".
Die Fronten bleiben verhärtet. Der Landeskirche hält Lüdemann vor,
ihn auf Grund seiner Glaubenseinstellung zensiert zu haben. Dies sei
jedoch nur berechtigt, sofern ihm fachliche Fehler nachgewiesen werden
können. Er habe die Lehre der Kirche korrekt dargestellt, "mir
aber vorbehalten, sie zu kritisieren", sagt er.
Kommenden Herbst wird Lüdemanns neues Buch "Die Intoleranz
des Evangeliums" erscheinen. Darin nimmt er erneut die
Volkskirchen ins Visier. Die Verpflichtung geistlicher Amtspersonen
auf Bibel und Bekenntnis lege Pfarrer auf religiöse Intoleranz fest.
Dies widerspreche dem kirchlichen Anspruch, an einem toleranten
Gemeinwesen mitzuarbeiten, so seine These.
"Unkritischer Trend" unter Studenten
Die rund 400 Studenten der evangelischen Theologie in Göttingen
kratzt der Fall Lüdemann längst nicht mehr. Als vor sechs Jahren sein
fiktiver "Brief an Jesus" erschien, politisierte Lüdemann
noch. Theologiestudenten boykottierten längere Zeit seine Vorlesungen.
Tempi passati. "Die Generation der heutigen Studenten begann ihr
Studium, als Lüdemann schon kaltgestellt war", heißt es bei der
Evangelischen Studentengemeinde.
In seine Vorlesung verliert sich gerade mal eine Hand voll Hörer.
Die Seminarscheine werden von der Kirche nicht anerkannt. Heinz Dieter
Knigge, früher Dozent für Bibelkunde in Göttingen, stellt einen
"unkritischen Trend" unter den Studenten fest: "Da
herrscht eher die Angst vor, später von der Landeskirche nicht
angestellt zu werden."
Lüdemann bereut inzwischen, dass er 1994 einem Ruf der Universität
Bonn nicht gefolgt ist. Die Kirche dort sei wesentlich liberaler und
beschneide die wissenschaftliche Theologie nicht. Die hannoversche
Landeskirche stuft er dagegen als "erzkonservativ" ein. Vor
einem Vierteljahrhundert noch habe in der Kirche ein Geist geweht, der
selbst eine "Gott-ist-tot-Theologie" aushielt. Doch auch
diese Zeiten seien vorbei.
Spiegel-Online