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Ist Jesus wirklich auferstanden? Wollte er für die Erlösung von den Sünden sterben?

(Vortrag in der Urania in Berlin am 14. März 2001)

von Gerd Lüdemann

Vortrag erscheint in den späten Abendstunden des 14. März.

An den Anfang seien zwei Zitate gestellt. Friedrich Delitzsch schrieb im Jahre 1920:

"Jeder Mensch hat seine besonderen Lebensführungen. Ich hörte als junger Student bei einem gefeierten liberalen alttestamentlichen Theologen das Kolleg 'Alttestamentliche Einleitung' und lernte dort eines Tags, daß das sog. 5. Buch Mosis, das Deuteronomium, gar nicht von Moses verfaßt sei, obwohl es sich durchweg als von Moses selbst gesprochen, ja sogar niedergeschrieben bezeugt, daß es vielmehr erst sieben Jahrhunderte später zu einem ganz bestimmten Zwecke verfaßt worden sei. Aus einer streng rechtgläubigen lutherischen Familie hervorgegangen, war ich durch das Gehörte, gerade weil es mich überzeugte, tief bewegt, und besuchte deshalb noch am gleichen Tage meinen Lehrer in dessen Sprechstunde, wobei mir mit Bezug auf den Ursprung des Deuteronomiums das Wort entschlüpfte: Da ist also das 5. Buch Mosis, was man eine Fälschung nennt? Die Antwort lautete: ,Um Gottes willen! Das wird wohl wahr sein, aber so etwas darf man nicht sagen!' Dieses Wort, sonderlich sein ,Um Gottes willen!' klingt in meinen Ohren fort bis auf den heutigen Tag." Gerhard Ebeling stellte im Jahre 1967 zur Auferstehung Jesu fest:

"Was als befreiendes und ermächtigendes Geschehen am Anfang der Kirchengeschichte steht, ist heute vornehmlich Anlaß zur Verlegenheit und wird als schwer zu erschwingendes Glaubensgesetz empfunden ... Die Verworrenheit der Diskussionslage und die Gereiztheit der Diskussionsatmosphäre sind Ausdruck einer unbewältigten Aufgabe."

Beide Zitate sprechen für sich. Ihre Inhalte weisen auch heute noch auf etwas, was existentiell und politisch brisant ist - existentiell brisant, weil die in den Zitaten angesprochene Bibelkritik vielen Menschen den Glauben unter den Füßen weggezogen hat, und politisch brisant, weil die beiden großen Kirchen sich auf die Bibel als Wort Gottes und auf Jesus Christus als den Mittler zwischen Mensch und Gott berufen. Allein von diesem Auftrag her leiten sie das Recht ab, in der Welt als Botschafter Christi auch politisch tätig zu werden. Zusammenfassend und aus der Innenperspektive gesagt: Ohne Bibel als Wort Gottes keine Kirche, keine Vergebung der Sünden, kein ewiges Leben bei Gott.

Im ersten Kapitel meines Vortrags frage ich, wie die Kirche und die ihr dienende akademische Theologie mit den Ergebnissen der Bibelkritik umgehen, in einem zweiten Kapitel thematisiere ich die Erforschung von Jesu Auferstehung und Sühnetod und frage wiederum nach der Verarbeitung der wissenschaftlich Ergebnisse durch Kirche und Theologie, das abschließende dritte Kapitel formuliert unter der Überschrift "Kirche, Theologie, Wissenschaft" einen Ertrag.

(1) Wie gehen Kirche und die ihr dienende akademische Theologie mit den Ergebnissen der Bibelkritik um?

Für den Glauben der christlichen Kirchen der Gegenwart und Vergangenheit gilt die Bibel als heilige Schrift. Der überwiegende Teil der Christenheit auf Erden - und das sind immerhin zwei Milliarden Menschen - liest die Bibel im wörtlichen Sinne als vom heiligen Geist eingegebenes Wort Gottes, so wie es bis zur Aufklärung allgemein üblich war.

Ein solches Verständnis von Glauben prägt die Kirchengeschichte bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. Es wird abgesichert durch zweierlei: erstens durch die Sammlung heiliger Schriften des Alten und des Neuen Testaments, in denen die Stimme Gottes durch den Mund auserwählter Menschen an die einzelnen Gemeinden in Vergangenheit und Gegenwart ergehen soll, und zweitens durch ein bestimmtes Geschichtsbild, das den Ursprüngen des christlichen Glaubens eine besondere Bedeutung beimißt. Wir können es kurz so wiedergeben: Jesus, der sündlose Gottessohn, offenbart seinen Aposteln die reine Lehre und stirbt für die Sünden der Welt. Er wird am dritten Tage von den Toten erweckt, befestigt seine Kirche, die ein Herz und eine Seele ist, und beauftragt die Apostel, die frohe Botschaft allen Menschen zu verkündigen. Der Teufel, der in der Folgezeit Ketzer in die Welt schickt, um die rechtgläubigen Christen zu bekämpfen, kann den Lauf des Evangeliums nicht aufhalten.

Beides, die Auffassung von der Bibel als Gotteswort und die Idee der Jungfräulichkeit der frühen Kirche, ist, wie eingangs gesagt, bis zum 17. Jahrhundert Ausgangspunkt des christlichen Dogmas geblieben. Dies änderte sich erst, als die Revolution des naturwissenschaftlichen Weltbildes und das Aufkommen der historisch-kritischen Methode einen großen Dammbruch herbeiführten. Die Bibelkritik beraubte die heilige Schrift ihrer Göttlichkeit und das Urchristentum seiner Unschuld. Ja, sie führte zu einer völlig neuen Sicht auch derjenigen Welt, in der das frühe Christentum entstanden war. Alles geriet durcheinander: Die Verfasserangaben der meisten biblischen Schriften wurden widerlegt; man erkannte, dass die Bibel eine Schriftensammlung der siegreichen christlichen Partei im 2. Jahrhundert war; und das Bild der Urkirche als einer Jungfrau erwies sich als frommer Wunsch einer christlichen Gruppierung, die ihre eigene Sicht über wahre und falsche Lehre in die früheste Zeit zurückverlegte.

Die historisch-kritische Schriftforschung beschwor somit eine Krise herauf, die bis heute den Bibelausleger begleitet. War für den Reformator Martin Luther der Wortsinn der Schriften noch gleich mit ihrem historischen Gehalt, so rückte infolge der historisch-kritischen Methode beides auseinander: Fortan konnte das Bild der verschiedenen neutestamentlichen Verfasser von Jesus nicht mehr als identisch mit dem historischen Jesus gelten. Die Kluft zwischen historischem Faktum und seiner Bedeutung, zwischen Historie und Verkündigung, zwischen Geschichte Jesu und dem widersprüchlichen Bild von seiner Geschichte im Neuen Testament macht es unmöglich, die Bibel als Anrede an Menschen einer anderen Zeit anzusehen. Zudem ist der moderne Historiker der Bibel mit Recht davon überzeugt, daß er viele Dinge besser weiß als die Verfasser der von ihm untersuchten Quellen. Das gilt nicht nur für alle das antike Weltbild betreffenden Fragen, sondern erstreckt sich auf zahlreiche den harten Glaubenskern treffende Punkte. Z.B. wurde Maria mit Sicherheit von einem Mann geschwängert. Denn die jungfräuliche Geburt ist dadurch als Deutung erkannt, daß nicht wenige große Männer der Antike, wie etwa Kaiser Augustus oder Alexander der Große, auch von einer Jungfrau geboren sein sollen. Außerdem kennen die ältesten Quellen im frühen Christentum, die Paulusbriefe und das Markusevangelium, die Jungfrauengeburt gar nicht, so daß auch von hierher die Geburt aus der Jungfrau historisch als problematisch erwiesen wird. Den geschichtlichen Gegebenheiten, unter denen sich die Wende zur Neuzeit vollzog, entspricht es, daß insbesondere Theologie und Kirche von dem Erwachen des historischen Bewusstsein getroffen wurden. Alsbald wurde der Kampf im Bereich der Schriftauslegung am heftigsten geführt. Die römisch-katholische Kirche schottete sich von dem Strudel der historischen Erforschung der Bibel von Anfang an ab: Der Papst stellte in zahlreichen Verlautbarungen amtlich in Abrede, dass es irgendeinen Widerspruch zwischen dem christlichen Glauben und der Geschichte geben könne. Abweichler hatten hier keine Möglichkeit, Gehör zu finden oder gar Einfluß auszuüben. So war die historische Erforschung der Bibel bis zum Anfang unseres Jahrhunderts hinein allein im evangelischen Bereich möglich. Doch wurde sie auch hier regelmäßig Zielscheibe der Kritik, bis sie endlich wieder ein Zuhause im Raum der Kirche und sich dem Glauben unterordnete.

Man sollte meinen, daß Kirche und Theologie angesichts der Springflut des säkularen historischen Bewußtseins längst aus der modernen Gesellschaft verschwunden oder zu Randgruppen geworden wären. Das Gegenteil ist der Fall. Die Ironie der Geschichte wollte es, daß beide Kirchen und die ihnen zugeordnete akademisch-kirchliche Theologie äußerlich unbeschädigt aus der Infragestellung durch die historische Kritik hervorgegangen sind. Sie haben in Deutschland einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf Staat und Gesellschaft und sind finanziell besser ausgestattet als je zuvor.

Wie steht es aber wirklich mit dem Verhältnis von Glauben und Wissen im Lichte der allgemein anerkannten Tatsachen zum frühen Christentum und zur Bibel? Wir erinnern uns: Der Glaube an die Jungfrauengeburt mußte sich dem Wissen stellen, daß sie eine spätere Interpretation und kein historisches Faktum ist. Dazu tritt die für den Glauben noch schwerer zu verdauende Erkenntnis, daß die meisten der von Jesus berichteten Worte und Taten erst nach seinem Tod hinzugedichtet worden sind. Ich nenne hier nur drei Bereiche, in denen wir es beobachten können. Es geschah erstens im Rahmen der Auseinandersetzungen innerhalb der frühchristlichen Gemeinden selbst. Man borgte sich die Autorität Jesu, um konkurrierende Mitchristen zum Schweigen zu bringen. Ein Beispiel ist das unechte Jesuswort

Lk 16,17:

"Es ist leichter, daß Himmel und Erde vergehen, als daß ein Häkchen vom Gesetz fällt."

Das Wort entstammt einer Gemeindesituation, in der ein Kampf zwischen liberalen und konservativen Christen entbrannt war. Die liberalen Christen sind wahrscheinlich Mitglieder von Gemeinden, denen auch der Apostel Paulus zuzuordnen ist. Er wurde von konservativen Christen des Abfalls vom Gesetz beschuldigt. Sie verbreiteten über ihn das Gerücht, er lehre alle Juden in der Diaspora, ihre Söhne nicht mehr zu beschneiden (vgl. Apg 21,21). Diese Christen gehörten der Gemeinde aus Jerusalem an, die unter der Führung des Jakobus, eines Bruders Jesu, zunehmend eine restaurative Haltung zum Gesetz einnahm. In diesen konservativen Kreisen dürfte Jesus ein so rigoroses Wort wie Lk 16,17 zugeschrieben worden sein: "Es ist leichter, daß Himmel und Erde vergehen, als daß ein Häkchen vom Gesetz fällt." Um die eigene Position im Kampf gegen andere Christen zu verteidigen, ließ man Jesus diesen Spruch sagen.

Zweitens erfand man aber auch Jesusworte im Kampf gegen ungläubige Juden. So legte der erste Evangelist Jesus folgende Sätze in den Mund:

Mt 23,34-38:

"(34) Siehe, ich sende zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte; und von ihnen werdet ihr einige töten und kreuzigen, und einige werdet ihr geißeln in euren Synagogen und werdet sie verfolgen von einer Stadt zur anderen, (35) damit über euch komme all das gerechte Blut, das vergossen ist auf Erden ... (36) Wahrlich, ich sage euch: Das alles wird über dieses Geschlecht kommen. (37) Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt! Siehe, euer Haus soll euch wüst gelassen werden."

Die christlichen Propheten, Weisen und Schriftgelehrten in V. 34 zielen auf die Gegenwart des Mt. Sie werden das Schicksal der Tötung, Kreuzigung und Geißelung erleiden, und zwar durch die von Jesus der Heuchelei bezichtigten Pharisäer und Schriftgelehrten. Dabei denkt Mt an ein Gericht über ganz Israel. Die Klage über Jerusalem setzt die Strafe der Verwüstung Jerusalems im Jüdischen Krieg voraus, der erst 40 Jahre nach Jesu Tod stattfand. Denn die Verwüstung der Stadt wird hier nicht in Aussicht gestellt, sondern gilt als bereits geschehen: Die Stadt soll wüst (= in Trümmern) liegen bleiben.

Drittens wurden Jesusworte fingiert, um die besondere Würde des Gottessohnes auszudrücken. So entstammen zwei Worte, die Jesus am Kreuz gesprochen haben soll, der erbaulichen Lektüre der alttestamentlichen Psalmen. Man vgl. den bekannte Verzweiflungsruf

Mk 15,34:

"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?",

der ein Zitat aus Ps 22,2 darstellt. Und die versöhnliche Anrede

Lk 23,46:

"Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist"

entspricht wörtlich Ps 31,6.

Weitere Fakten sind ebenso schwere Herausforderungen an den christlichen Glauben. So haben die sogenannten messianischen Weissagungen, die traditionell auf Jesus bezogen werden, mit diesem nichts zu tun. Zwar erklingen sie alljährlich im Weihnachts- und Karfreitagsgottesdienst. Dies ändert aber nichts daran, daß sie erst nachträglich auf Jesus bezogen wurden. So hatte weder der Prophet Jesaja im achten vorchristlichen Jahrhundert Jesus im Sinn, als er dem König Ahas die Geburt eines Sohnes voraussagte (vgl. Jes 7,14), noch haben die alttestamentlichen Gottesknechtslieder irgendetwas mit dem gekreuzigten Gottessohn zu tun. Mit anderen Worten, die so eindringlichen Aussagen von

Jes 53,4:

"Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der von Gott geschlagen und gemartert wäre ..."

beziehen sich gar nicht auf den gekreuzigten Gottessohn, sondern auf jemand anderen, vielleicht sogar kollektiv auf das Volk Israel ein halbes Jahrtausend vor dem Auftreten Jesu.

Ich könnte hier die durch die historische Kritik unwiderleglich und ein für allemal herausgearbeiteten Widersprüche zwischen dem christlichen Glauben und dem tatsächlichen geschichtlichem Hergang noch lange fortsetzen. Für die Kirche scheint die Schlacht aussichtslos geworden zu sein, denn zwischen dogmatischer Sicht und historischer Rekonstruktion klafft ein breiter garstiger Graben, dessen Überbrückung bis heute nicht gelingen will.

Trotzdem geht es Kirche und akademischer Theologie in Deutschland äußerlich gut. In einem gewissen Sinne hat man sogar Frieden mit der historischen Kritik geschlossen. Inzwischen ist es vielfach eine Selbstverständlichkeit geworden, Jungfrauengeburt, Wunder sowie messianische Weissagungen als historische Fakten preiszugeben, und "Gemeindebildung" hat sich als unentbehrlicher Ausdruck in der Jesusforschung etabliert. Vielfach gewinnt man den Eindruck: Allein bei der Auferstehung und dem ihr zugeordneten Tod Jesu für die Sünden gewährt man der historischen Kritik kein Pardon. Die Auferstehung soll, muß und kann - wenigstens nach Meinung vieler Theologen und Kirchenmänner - leisten, was früher die Evangelien insgesamt, insbesondere aber Wunder, Auferstehung und Jungfrauengeburt zusammen leisteten: dem Glauben einen Grund geben. Je schwieriger das historische Verständnis der alttestamentlichen Weissagungen, der Wunder, der Jungfrauengeburt und der unechten Worte Jesu wurde, um so mehr konzentrierte man sich auf die Auferstehung als unentbehrliches Requisit und meinte hier den Punkt der Punkte zu finden. Einige Zitate von prominenten Theologen mögen das belegen: "Das Christentum steht und fällt mit der Wirklichkeit der Auferweckung Jesu von den Toten durch Gott" (Jürgen Moltmann). "Das Christentum beginnt mit Ostern. Ohne Ostern kein Evangelium. Ohne Ostern kein Glaube, keine Verkündigung, keine Kirche, kein Gottesdienst, keine Misiion" (Hans Küng).

(2) Die Auferstehung Jesu - eine zuverlässige Grundlage des christlichen Glaubens?

Wie steht es aber wirklich mit der Auferstehung Jesu? Vermag sie trotz der kirchlichen Dementis fast aller anderen Glaubenssätze dem Ansturm der Kritik standzuhalten? Gestattet wenigstens sie der Kirche, an einer Stelle den Einbruch der Offenbarung Gottes in diese Welt aufrechtzuerhalten?

Im folgenden seien zwei Texte aus den neutestamentlichen Evangelien zur Auferstehung Jesu untersucht (Mk 16 und Mt 27-28) und anschließend – ausgehend von der ältesten Überlieferung (1 Kor 15,3-5) – der Versuch unternommen, die Entstehung des ältesten Glaubens an Jesu Auferstehung (einschließlich seines Sühnetodes) nachzuzeichnen. Einsetzen muß ich aber mit einer Analyse des Vorworts zum Lukasevangelium (= LkEv), weil erst so meine Vorgehensweise plausibel wird. (Zur Erläuterung sei angemerkt daß "Lukas", "Matthäus" und "Markus" lediglich traditionelle Namen für die Autoren der ersten drei Evangelien sind, deren wirkliche Verfasser uns als Personen unbekannt bleiben.)

Lk 1,1-4:

(1) Nachdem viele es unternommen haben, einen Bericht von den Dingen zu schreiben, die sich unter uns erfüllt haben, (2) wie uns das die überliefert haben, die es von Anfang an gesehen haben und Diener des Wortes gewesen sind, (3) so habe auch ich es für gut befunden, nachdem ich alles von Anfang an sorgfältig erkundet habe, es für dich, geehrter Theophilus, in der Reihenfolge, in der es geschehen ist, aufzuschreiben, (4) damit du den sicheren Grund der Lehre erfährst, in der du unterrichtet wurdest.

Das Vorwort zum LkEv besteht aus einem herausragend stilisierten griechischen Satz, der den Anspruch seines Verfassers betont. Es ist die einzige Stelle in den ersten drei Evangelien (= Synoptiker), in der ein Evangelist Auskunft über das Ziel seiner Arbeit und über seine Quellen gibt. Daraus ergeben sich wichtige Einsichten. Erstens hat es vor Lk schon andere ("viele") Verfasser von Evangelien gegeben (V. 1). Zweitens waren diese bei den Begebenheiten - ebenso wie Lk - nicht dabei. Diese Bedingung erfüllt erst die Gruppe von Augenzeugen und Dienern des Wortes, welche die Quelle der Überlieferung sind (V. 2). Drittens will Lk seine Vorgänger übertreffen, indem er allem noch einmal sorgfältig von Anfang an nachgegangen ist, um es der Reihe nach, d.h. in richtiger chronologischer Folge, aufzuschreiben (V. 3). Viertens will Lk mit seinem Werk den Glauben stützen und auf historische Weise seinen Grund absichern (V. 4). Denn Glaube gründet in Realitäten und nicht auf Sinnestäuschung.

Das Vorwort ist wichtig für die Frage der Entstehung der Jesustraditionen. Aus ihm geht folgendes hervor: Am Anfang steht die mündliche Überlieferung der Augenzeugen und Diener des Wortes (V. 2). Keiner von ihnen hat sein Wissen um Jesus schriftlich niedergelegt. Dazu kam es vielmehr erst später, als einzelne Christen Evangelien verfaßten. Maßgebendes Ansehen genossen diese Schriften aber noch nicht. Lk hat mit seinem eigenen Werk diese Linie fortgesetzt und zumindest das MkEv und eine Quelle von Jesussprüchen (= Q) verarbeitet.

Soweit die programmatischen Bemerkungen des dritten Evangelisten über Grund und Absicht seiner Darstellung. Ich setze voraus, daß Ähnliches auch für die anderen Evangelisten gilt. Daraus ergibt sich auch bei der Lektüre der anderen Evangelien die Aufgabe, zunächst immer erst nach der Absicht zu fragen, mit der sie die Geschichten weitererzählen.

Mk 16,1-8: Die Verkündigung des Auferstandenen im leeren Grab

(1) Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria die Magdalenerin und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. (2) Und sehr früh am ersten Tag der Woche kamen sie zum Grab, als die Sonne aufging. (3) Und sie sagten zueinander: "Wer wälzt uns den Stein von der Tür des Grabes?" (4) Und als sie hinschauen, sehen sie, daß der Stein weggewälzt worden ist; denn er war sehr groß. (5) Und als sie in das Grab hineingingen, sahen sie einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, bekleidet mit einem langen weißen Gewand, und sie entsetzten sich. (6) Er aber sagt ihnen: "Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er wurde auferweckt, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. (7) Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus: ,Er zieht euch nach Galiläa voraus; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.'" (8) Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; es hielten sie nämlich Zittern und Betäubung im Bann. Und sie sagten niemandem etwas; sie fürchteten sich nämlich.

Der vorliegende Text ist in mancherlei Weise merkwürdig: Der erste Anstoß, den er bietet, betrifft seine Stellung am Ende des Evangeliums. Es stellt sich die Frage: Wie kann ein Evangelium mit dem Satz: "Sie fürchteten sich nämlich" (V. 8) geschlossen haben? Nun hat man oftmals versucht, das ursprüngliche Ende des MkEv zu rekonstruieren. Da ihm im 2. Jahrhundert verschiedene Schlüsse gegeben worden sind und da die Seitenreferenten Mt und Lk die Mk-Vorlage, die bis 16,8 reichte, mit einer Ergänzung ausgestattet haben, setzt man dabei voraus, daß der ursprüngliche Mk-Schluß schon früh weggebrochen sei (Blattverlust oder absichtliche Tilgung). Gegenüber allen Ergänzungen ist jedoch aus methodischen Gründen zunächst der Versuch zu unternehmen, das überlieferte MkEv in seiner vorliegenden Gestalt zu verstehen.

Der zweite Anstoß besteht in dem Inhalt des von Mk Berichteten. Wenn die Frauen dem Auftrag des Jünglings keine Folge leisten, wie V. 8 sagt, wie soll dann die Botschaft von der Auferstehung Jesu die Jünger und Petrus überhaupt erreicht haben? Daraus ist zu folgern: Auch wenn an dieser Stelle etwas nicht zu stimmen scheint, so mag trotzdem die Botschaft an die Leser des Evangeliums im Sinne des Verfassers eindeutig sein. Mit anderen Worten: Der implizite Widerspruch in V. 8 muß im Zusammenhang des ganzen Textes auf seine Absicht hin abgehört werden.

Vorweg sei betont, daß sich allein an diesem Text die Frage entscheidet, ob dem leeren Grab ein historischer Wert zukommt. Denn die Berichte der anderen drei Evangelien verarbeiten die Erzählung des MkEv und verändern diese gemäß ihren Intentionen. Insbesondere fällt auf, daß alle die Nicht-Erzählung der Kunde vom leeren Grab, wie sie sich bei Mk (16,8) findet, in ihr gerades Gegenteil verkehren.

Die Erzählung Mk 16,1-8 besteht aus drei Teilen: Die Frauen sind zunächst auf dem Wege zum Grab (V. 2-4), dann im Grab (V. 5-7), und schließlich fliehen sie vom Grab weg (V. 8). Eigentlich entdecken sie gar nicht das leere Grab, sondern den Jüngling, dessen Verkündigung: "Jesus ist auferweckt worden" (V. 6), den Mittelpunkt der Geschichte bildet. Demnach steht fest, daß die Geschichte kunstvoll aufgebaut ist.

Wie ist es um die Historizität des Erzählten bestellt?

Oftmals wendet man eine Subtraktionsmethode an, um zu dem historischen Kern vorzustoßen. Da sich recht viele unglaubwürdige Elemente in dem Text finden und – getreu der obigen Methode – abzuziehen sind, bleibt dann häufig nur der Befund übrig, daß drei namentlich genannte Frauen das Grab Jesu am dritten Tag besucht haben, zuweilen aber auch, daß das von ihnen vorgefundene Grab leer war.

Merkwürdigerweise hat man bisher ein Argument gegen die Historizität des Erzählten noch nicht recht gewürdigt. Am Ende der Geschichte heißt es, die Frauen hätten entgegen dem Befehl des Jünglings den Jüngern nichts von dem Geschehenen weitererzählt. Begründung: "Denn sie fürchteten sich" (V. 8). Dieser Vers ist das Ende des MkEv. Es ist sicher, daß der Vf. sich dabei etwas gedacht hat, denn auch in der Antike wurden Anfang und Ende eines literarischen Werkes mit besonderer Sorgfalt bearbeitet. Was folgt daraus für die Interpretation?

Mk gibt mit dem Schluß zu verstehen, daß die Kunde vom leeren Grab bisher unbekannt geblieben ist, denn die Frauen haben geschwiegen. Er selbst erzählt als erster davon. Wie soll das möglich sein? Antwort: Er selbst war Augenzeuge und im Grab dabei, denn in der Gestalt des Jünglings verbirgt sich wohl kein anderer als der Vf. des MkEv selbst.

Daß dies keine phantastische Deutung ist, ergibt sich aus der Anwesenheit eines Jünglings in der Nähe Jesu an einer anderen Stelle des MkEv. In Mk 14,51-52 heißt es: "Ein Jüngling aber folgte ihm (Jesus) nach, der war mit einem Leinengewand bekleidet auf der nackten Haut; und sie greifen nach ihm. Er aber ließ das Gewand fahren und floh nackt davon." Diese Verse stehen in Spannung zu Vers 50, der von der Flucht aller berichtete.

Der Jüngling ist viel umrätselt. Er folgt Jesus nach bzw. begleitet ihn. In Mk 5,37 bezieht sich das Verb, das wörtlich übersetzt "mitnachfolgen" bedeutet, auf den engsten Jüngerkreis. Wahrscheinlich bringt sich bereits in Mk 14,51f der Vf. des MkEv selbst als Nachfolger Jesu ein und erhebt den Anspruch, länger als die geflohenen Nachfolger bei Jesus ausgeharrt zu haben. Danach erscheint er wieder im Grab Jesu und richtet den Frauen die entscheidende Botschaft aus: "Jesus wurde auferweckt, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten." Das Grab mußte also infolge der Auferweckung leer gewesen sein, und Mk ist der erste, der davon berichtet,

Daraus folgt: der erste Bericht vom leeren Grab ist etwa in das Jahr 70, der mutmaßlichen Abfassungszeit des MkEv, zu versetzen - 40 Jahre nach dem Tode Jesu. Es leuchtet ein, daß damit der historische Wert des leeren Grabes Jesu gleich Null ist.

Matthäus 27, 62 - 28,15:

(62) Am nächsten Tag, der auf den Rüsttag folgt, kamen die Hohenpriester mit den Pharisäern zu Pilatus (63) und sprachen: "Herr, wir haben daran gedacht, daß dieser Verführer sprach, als er noch lebte: ,Ich werde nach drei Tagen auferweckt.' (64) Darum befiehl, daß man das Grab bewache bis zum dritten Tag, damit nicht seine Jünger kommen und ihn stehlen und zum Volk sagen: ,Er wurde von den Toten erweckt', und der letzte Betrug ärger wird als der erste." (65) Pilatus sprach zu ihnen: "Da habt ihr die Wache; geht hin und bewacht es, so gut ihr könnt." (66) Sie gingen hin und sicherten das Grab mit der Wache und versiegelten den Stein.

(28,1) Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. (2) Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. (3) Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. (4) Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot. (5) Aber der Engel sprach zu den Frauen: "Fürchtet euch nicht! Ich weiß, daß ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. (6) Er ist nicht hier; er wurde auferweckt, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat; (7) und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern: ,Er wurde von den Toten erweckt. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.'" (8) Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.

(9) Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: "Seid gegrüßt!" Und sie traten zu ihm und umfaßten seine Füße und fielen vor ihm nieder. (10) Da sprach Jesus zu ihnen: "Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, daß sie nach Galiläa gehen: dort werden sie mich sehen."

(11) Als sie aber hingingen, siehe, da kamen einige von der Wache in die Stadt und verkündeten den Hohenpriestern alles, was geschehen war. (12) Und sie kamen mit den Ältesten zusammen, hielten Rat und gaben den Soldaten viel Geld (13) und sprachen: "Sagt: ,Seine Jünger sind in der Nacht gekommen und haben ihn gestohlen, während wir schliefen.' (14) Und wenn es dem Statthalter zu Ohren kommt, wollen wir ihn beschwichtigen und dafür sorgen, daß ihr sicher seid." (15) Sie nahmen das Geld und taten, wie sie angewiesen waren. Und diese Kunde geht bei Juden um bis auf den heutigen Tag.

[Es folgen V. 16-20: Erscheinung und Missionsbefehl]

Bei den Auferstehungsgeschichten legt Mt den Bericht des Mk (16,1-8) vom leeren Grab zugrunde, berichtet aber (ebenso wie Lk) entgegen der Aussage von Mk 16,8 davon, daß die Frauen die Kunde von der Auferweckung Jesu weitererzählen (V. 8) und nicht geschwiegen haben. Außerdem ergänzt Mt den Text des Mk um zwei Berichte von Erscheinungen des Auferstandenen (28,9-10: vor den Frauen am Grabe; 28,16-20: vor den Elfen in Galiäa mit Missionsbefehl). Die zuletzt genannte Erscheinungserzählung bot sich schon deswegen an, weil der Schluß des MkEv (16,8) für ihn ebenso wie für Lk aber auch für die späteren Leser des MkEv unbefriedigend war. Sodann steuert er eine Geschichte von den Grabwächtern bei, welche die im Anschluß an Mk 16,1-8 wiedergegebene Erzählung vom Gang der Frauen zum leeren Grab rahmt. Beide Zusätze zum MkEv sind von einem massiven Antijudaismus bestimmt.

In der Erzählung von den Grabeswächtern nimmt Mt 28,13 (die Soldaten sollen behaupten: Jesu "Jünger sind in der Nacht gekommen und haben ihn gestohlen, während wir schliefen") auf 27,64 Bezug (Pilatus soll befehlen, "daß man das Grab sichert bis zum dritten Tag, damit nicht seine Jünger kommen und ihn stehlen und dem Volk sagen: 'Er wurde auferweckt von den Toten'"). Wider besseres Wissen sollen die Soldaten das Gerücht verbreiten, die Jünger hätten den Leichnam gestohlen, während sie selbst schliefen. Einen solchen Leichenraub hatten die jüdischen Oberen aber schon vorher befürchtet (27,64). Nun, da Jesus wirklich auferstanden ist, bestechen sie die Soldaten, die ja selbst indirekt Zeugen der Auferstehung Jesu sind (vgl. 28,11), gezielt das Gegenteil zu verbreiten. Die jüdischen Führer machen sich also der Anstiftung zur Lüge schuldig.

Die Auferstehungsgeschichte, wie sie Mt erzählt, ist demnach keine faktengetreue Erzählung vom wirklichen Hergang, sondern ein polemischer Traktat gegen die nicht-christusgläubigen Juden. So kann weder die Überlieferung von der Bestechung der Grabeswächter historisch ernstgenommen werden noch die Sicht, daß die jüdischen Oberen von der Tatsache der Auferstehung Jesu wußten. All das entspringt einer antijüdischen Polemik. Wir haben hier ein eindrückliches Beispiel dafür, wie Jesustexte im Dienste einer Polemik gegen Juden manipuliert worden sind.

Nach diesem Ausflug in die kirchliche Osterlegende (zu ihr gehören auch noch die hier nicht mehr zu thematisieren Stücke, die von einem Verzehr von Fisch und Brot durch den auferstandenen Jesus sprechen) komme ich zum ältesten erhaltenen Text, der von Sühnetod und Auferstehung Jesu handelt.

1Kor 15,1-5:

(1) Ich erinnere euch aber, Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, (2) durch das ihr auch gerettet werdet, wenn ihr es festhaltet in der Gestalt, in der ich es euch verkündigt habe; es sei denn, ihr wäret umsonst zum Glauben gekommen. (3) Denn als erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe, daß Christus starb für unsere Sünden nach den Schriften; (4) und daß er begraben wurde; und daß er auferweckt worden ist am dritten Tage nach den Schriften; (5) und daß er Kephas erschien, dann den Zwölfen.

Hier erinnert Paulus die Adressaten zunächst daran, was er ihnen bei der Gründung der Gemeinde überliefert hat (V. 1.3a), und betont, daß er dies selbst - wohl bald nach seiner Bekehrung (etwa 34 nChr) - empfangen habe (V. 3b). Es ist nun ein großer Glücksfall für die historische Rekonstruktion, daß der Apostel im Anschluß daran in V. 3c-5 diese auch in chronologischem Sinne vorpaulinische Überlieferung noch einmal zitiert.

"Daß Christus für unsere Sünden starb nach den Schriften und daß er begraben wurde und daß er auferweckt worden ist am dritten Tage nach den Schriften und daß er dem Kephas erschien, dann den Zwölfen."

In dieser Tradition, die aus einem parallel gebauten Zweizeiler besteht, geht es um einen je doppelten "Beweis": einerseits aus den Schriften, auf die jedoch nur allgemein verwiesen wird, und andererseits aus einer bestätigenden Tatsache. Dabei bekräftigt die Aussage über das Begräbnis Jesu die Tatsache seines Todes, und die Aussage über die Erscheinungen vor Kephas und den Zwölfen die Tatsache der Auferweckung. Die Aussage über das Begräbnis wird demgegenüber nicht mit der Auferweckung Jesu in Verbindung gebracht, etwa so, daß das Grab leer gewesen und also Jesus auferstanden sein müsse. Hätte Paulus von einer Tradition des leeren Grabes gewußt, wäre nicht einzusehen, warum er sie gegen die Korinther nicht ins Spiel brachte, denn dann hätte er ein Argument mehr für die leibliche Auferstehung zur Verfügung gehabt. Wir müssen also mit allem Nachdruck sagen, daß die Aussage der Auferweckung Jesu aus der Erscheinung vor Kephas gefolgert wurde und nicht aus dem leeren Grab Jesu.

Was ergibt sich daraus für das Problemfeld "Auferstehung Jesu"?

Am Anfang stand eine umstürzende visionäre Erfahrung des Kephas, an die sich – geradezu ansteckend – Einzel- und Gruppenvisionen anschlossen. Ihr Inhalt war der himmlische Jesus, den Gott zu sich erhöht hatte. Also mußte Gott - so die theologische Folgerung – den schmählich am Kreuze Hingerichteten von den Toten erweckt haben. Damit war gleichzeitig das Ärgernis des Todes Jesu ausgeräumt und man erhielt eine Antwort auf seinen Sinn: Er war geschehen für die Sünden der Menschen. Man beachte jedoch die Reihenfolge: Erst im Anschluß an die Erkenntnis der Auferweckung Jesu von den Toten verstand man die Absicht des Todes Jesu. Er war nach der Meinung der Jünger geschehen für die Sünden der Menschen und ebenso wie die Auferweckung natürlich schriftgemäß. (In der Formel 1Kor 15,3-5 ist die Reihenfolge von Sühnetod und Auferweckung aus verständlichen Gründen umgekehrt.)

Da Primärquellen aus dem unmittelbaren Jüngerkreis fehlen, müssen viele Einzelheiten und Deutungsmuster offen bleiben. Ich habe in meinem Buch über die Auferstehung Jesu aus dem Jahre 1994 die Vision des Kephas als mißglückte Trauerarbeit zu verstehen gesucht und möchte der Einfachheit halber darauf verweisen (vgl. Gerd Lüdemann: Die Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie, 1994).

Wissenschaftlich ertragreicher ist die Untersuchung der Ostererfahrung des Paulus, weil wir von ihr Primärquellen von dem Betroffenen selbst zur Verfügung haben. Sie kann eindeutig aus anderen Belegstellen der Paulusbriefe als Vision verstanden werden. Man vgl. besonders 1Kor 9,1: Paulus hat den Herrn gesehen. Dieser Sachverhalt wird in der protestantischen Bibelforschung und Dogmatik oft abgestritten, und die Geschichte der Verständnislosigkeit gegenüber Phänomenen wie Visionen (und Auditionen) muß erst noch geschrieben werden. Visionen waren bei Paulus nicht auf das "Damaskusereignis" beschränkt. Auch in späterer Zeit war sein Leben von visionären Erfahrungen begleitet (Gal 2,2; Apg 16,9), die er oft mit einer Krankheit bezahlen mußte (2Kor 12,7f).

Visionen sind Vorgänge im menschlichen Geist und Produkte der eigenen Vorstellungskraft, obwohl es Visionäre regelmäßig anders erzählen: Sie empfangen von außen Bilder und vernehmen von außen Laute. So hat auch Paulus mit Sicherheit niemals daran gezweifelt, daß er Jesus damals (und auch später) wirklich gesehen hat, und die Vision wirkte auf ihn mit der vollen Kraft einer "objektiven" Tatsache. Doch kann die Objekthaftigkeit der Ausdrucksweise nicht dagegen ausgespielt werden, daß es sich dabei um den religiösen Ausdruck des Subjekts handelt. Die Vision ist ein Primärphänomen, eine religiöse Erfahrung, welche die Raum-Zeit-Beschränkung aufhebt und - wie sollte es anders sein - sich in einem nicht-rationalen Bereich vollzieht. Sie entstammt einem Denken in urtümlichen Bildern und Symbolen, das über den Verstand hinaus- ja, diesem bereits vorangeht und allen Menschen in unterschiedlichem Maße zueigen ist.

Wie konnte es zu der Christusvision des Paulus kommen, zumal er selbst Jesus gar nicht persönlich gekannt hat? War damit nicht von vornherein ein ganz anderes Bild des Auferstandenen als bei den Jüngern mitgegeben? Wie war dann Paulus überhaupt in der Lage, die persönlichen Jünger Jesu von der "Echtheit" seiner eigenen Christusvision zu überzeugen? Solche und ähnliche Fragen türmen sich nur so auf, wenn man die früheste Zeit der christlichen Bewegung historisch zu verstehen sucht.

Ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der Ostererfahrung des Paulus liegt in seiner Tätigkeit als Christenverfolger, auf die er 1Kor 15,9 u.ö. verweist. Im Alter von etwa 30 Jahren nahm sein Leben durch das sogenannte Damaskusereignis eine entscheidende Wende. Fortan wurde es Gegenstand des Lobpreises der von ihm einst verfolgten christlichen Gemeinden. Sie sangen nun: "Der uns einst verfolgte, predigt jetzt den Glauben, den er einst zu zerstören suchte" (Gal 1,23).

Wie konnte diese Wende geschehen?

Führen wir das Gedankenexperiment durch, man hätte Paulus vor der Damaskusvision analysieren können, so dürfte die Analyse eine starke Strömung zu Christus hin aufgewiesen haben, ja, die Annahme seiner unbewußten Christlichkeit liegt dann nicht mehr so fern. Die vehement aggressive Haltung des Paulus gegen die Christen, sein Eifer, mag damit zusammenhängen, daß die Grundelemente der von ihm verfolgten Christen ihn unbewußt angezogen haben. Jedoch aus Angst vor seinen unbewußten Strebungen hat er diese auf die Christen projiziert, um sie dort um so ungestümer attackieren zu können.

Mit der Vision Christi ergab sich für Paulus eine Umschichtung. Der mit der Verfolgung aufgestaute Schuldkomplex wurde durch die Gewißheit, in Christus zu sein, abgelöst. Der Verfolger stürzte in Christus förmlich hinein und erlebte dies als Befreiung, Erleuchtung und Leben. Dabei machte Paulus die ungeheure Erfahrung, ein neues Ich zu bekommen, das mit Christus identisch ist (vgl. Gal 2,20: "Christus lebt in mir"). Dieses fremde, ihm geschenkte Ich kam seit der Damaskusvision immer mehr zum Durchbruch und überstand auch die Verzögerung des Kommens Jesu auf den Wolken des Himmels. Zeitvorstellungen überholend kam Paulus am Ende seines Lebens zur Überzeugung, daß die Vereinigung mit Christus unmittelbar im Tod erfolgt und nicht erst nach einiger Verzögerung am Ende der Zeit, wie er anfangs geglaubt hatte. "Christus" hatte bei Paulus offenbar die Qualität der Unzerstörbarkeit und ermöglichte daher dem Apostel die Lebensvollendung bereits im Tod.

Ziehen wir einen Ertrag aus der Analyse der ältesten christlichen Auferstehungstexte, so ist das Resultat in historischer Hinsicht eindeutig: Am Anfang stand die Vision Jesu und daran heftete sich die Folgerung, daß Jesus lebt, weil Gott ihn zu sich erhöht hat, und daß sein schmählicher Tod zur Erlösung von den Sünden diene. Demgegenüber war Jesu Grab war voll und sein Leichnam verweste, soweit er nicht überhaupt von Geiern und Schakalen direkt vom Kreuzesbalken weggefressen wurde. "Daß sich an Jesus in einer Art ,Zeitraffung' antizipatorisch auch im Leiblichen vollzogen hat, was sich im Eschaton mit den Leibern aller Gestorbenen begeben wird" (J. Ringleben) und daß deswegen das Grab leer gewesen sein müsse, ist eine Glaubensaussage ohne wissenschaftliche Relevanz. Immerhin scheint sie mir innertheologisch stimmiger zu sein als die These eines anderen bedeutenden Theologen, daß auch dann theologisch vertretbar von Jesu Auferweckung gesprochen werden könne, wenn das Grab Jesu voll gewesen sei. Er schreibt: "Ist die Verwesung unseres Leibes kein hinreichender Grund, Gott an unserer Auferweckung zu hindern, dann gilt das erst recht von Jesus" (I. Dalferth). Doch dann wäre der erscheinende Jesus nur eine Art Gespenst und allenfalls ein "farbiger Schatten seiner selbst" (J. Ringleben). Mit einem solchen Phänomen wäre die Verehrung eines anderen bedeutenden Menschen vergleichbar, etwa die Goethes, den einige seiner Anhänger auch schon einmal nach seinem Tod "gesehen" haben dürften.

Wie werden aber führende Theologen und Kirchenführer damit fertig, daß die Auferstehung nicht stattfand, sondern aus einer Vision bestand? Diese Frage stellt sich um so dringender, als bereits in der Antike Kritik an diesen Visionen von gebildeter Seite nicht lange auf sich warten ließ. So machte sich Celsus über Maria Magdalena lustig und führte ihr Sehen Jesu nach dessen Tod darauf zurück, "daß einer vielleicht die Anlage zu solchen Träumen in sich trug, oder, ein Opfer irregeleiteter Phantasie, sich nach Belieben ein solches Trugbild schuf ..., wie dies schon Tausenden begegnet ist" (Origenes, Gegen Celsus II 60). Und Lukrez berichtete von Bildern im Traum und bei Krankheit, "so daß wir die zu uns zu reden und zu hören glauben, die schon dahingegangen sind und deren Gebeine die Erde umfängt" (Über die Natur der Dinge I 134f).

Ich registriere drei Ansätze zur Schadensbegrenzung:

Erstens: Man elementarisiert den eigenen Glauben und beschreibt ihn mit Kurzformeln wie: Ich glaube an Kreuz und Auferstehung. Erinnert sei daran, wie kürzlich der EKD-Ratsvorsitzende Kock die "Rechtgläubigkeit" von Jürgen Fliege dadurch besiegelte, daß er ihm bescheinigte, Kreuz und Auferstehung zu bekennen. In Wirklichkeit liegt hier aber eine Irreführung vor, falls man damit sagen will, Kreuz und Auferstehung seien als Glaubensgegenstände parallel zu sehen. Einerseits suggeriert ja das "und" in der Wendung "Kreuz und Auferstehung" eine Entsprechung zwischen beiden Größen. Wahrscheinlich ist aber etwas anderes gemeint: Der Christ versteht die Auferstehung als Interpretation des Kreuzes. Anders gesagt: Der Satz, "Jesus ist auferstanden" ist eine gläubige Deutung des Kreuzestodes Jesu. Der unvoreingenommene Hörer sieht sich schlichtweg getauscht, wenn er über den wahren Sachverhalt aufgeklärt wird, daß Jesus gar nicht auferstanden ist.

Zweitens: Sachlich bedeutsam an der Rede von der Auferstehung Jesu sei nur, daß der Gekreuzigte nicht vernichtet ist. Denn der Auferstandene sei der Gekreuzigte und nur als solcher für uns heute zu sehen. Doch scheint mir eine solche inhaltliche Bestimmung von Auferstehung sinnlos, da sie mit dem Wort "Auferstehung" und der in den biblischen Texten gemeinten Sache schlechterdings nichts mehr zu tun hat Unter dieses harte Verdikt fällt auch das Programm Rudolf Bultmanns, die Botschaft des Neuen Testaments zu "entmythologisieren". Bultmann wollte den Kern des christlichen Glaubens durch eine Interpretation bewahren, die sich mit dem heutigen Weltbild vereinbaren läßt. Jedoch ist der zur Rettung der Auferstehung herangezogene Gedanke, Jesus sei "in die Verkündigung auferstanden", eine so vollständige Entleerung der in der Bibel vorausgesetzten Sache der körperlichen Auferstehung Jesu, daß er mit keiner historischen Tatsache mehr zusammenprallen kann. Er bleibt, ohne daß ihm eine Spur von historischem Gehalt anhaftet, nur als Worthülse zurück.

Drittens: Ein weiterer Ansatz versucht den christlichen Glauben unter Rückgang auf den historischen Jesus zu retten. Man streicht dann guten Gewissens alles Sekundäre, sieht das Bekenntnis seiner Auferstehung als gläubige Interpretation des Kreuzes an und glaubt zwar nicht an Jesus aber wie Jesus. Diesem Versuch gegenüber ist aber an das sichere Wissen zu erinnern, daß Jesus der Religion des Judentums angehört. Von hier zur christlichen Kirche ist es ein weiter Weg, umso mehr, als die Entwicklung der christlichen Heilslehre auf Kosten Israels geschah – gegen die Intention Jesu, der eine Kirche gar nicht gründen wollte und auch nicht gegründet hat. Man kann Jesus daher nicht mit gutem historischen Gewissen für die christliche Religion in Beschlag nehmen. Jesus gehört Israel an. Sollte man der Sache Jesu trotzdem zustimmen, müßte man konsequenterweise Jude werden und sich als Mann beschneiden lassen.

(3) Kirche, Theologie, Wissenschaft

Unter der Überschrift "Kirche, Theologie, Wissenschaft" möchte ich abschließend einige übergreifende Gesichtspunkte ansprechen. Zunächst beginne ich wie schon eingangs mit einem Zitat, diesmal von Albert Schweitzer. Er schrieb im Jahre 1906 am Eingang seines großen Werkes über die "Geschichte der Leben-Jesu-Forschung":

"Wenn einst unsre Kultur als etwas Abgeschlossenes vor der Zukunft liegt, steht die deutsche Theologie als ein größtes und einzigartiges Ereignis in dem Geistesleben unserer Zeit da. Das lebendige Nebeneinander und Ineinander von philosophischem Denken, kritischem Empfinden, historischer Anschauung und religiösem Fühlen, ohne welches keine tiefe Theologie möglich ist, findet sich so nur im deutschen Gemüt."

Die großen Leistungen der deutschen Theologie sind besonders in Berlin von Adolf Harnack und seinen Schülern vorgelegt worden und ihnen ist es letztlich zu verdanken, daß nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches Theologie ein ordentliches Unterrichtsfach an deutschen Universitbis heute blieb. Das bedeutet: der Staat bezahlt dafür, daß der christliche Glaube erforscht wird, und er erkennt damit gleichzeitig die Kulturbedeutung der Kirche an. Umgekehrt geht damit die christliche Kirche das Risiko ein, daß sie bzw. ihr Glaubensinhalt auf den Prüfstand der Kritik gehoben wird, denn wissenschaftliches Fragen weiß nie im voraus, was ihr Ergebnis sein wird.

Die Rolle, welche die Wissenschaften in unserer Gesellschaft spielen, entspricht einer zunehmenden Intellektualisierung und Rationalisierung. Sie bedeutet freilich nicht eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen wir stehen. Angesichts der Flut von Informationen ist das auch gar nicht denkbar. Aber Intellektualisierung und Rationalisierung, die uns zuweilen gar nicht mehr bewußt sind - so selbstverständlich sind sie geworden - , bedeuten das Wissen darum oder den Glauben daran, daß man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte , daß es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen. Vielmehr sind die Dinge - im Prinzip - durch Berechnen beherrschbar. Das aber hat faktisch die Entzauberung der Welt zur Folge. Nicht mehr wie der Wilde, für den es solche Mächte gab, muß man zu magischen Mitteln greifen, um die Geister zu beherrschen oder zu erbitten. Sondern technische Mittel und Berechnung sind das Gütesigel unserer Gesellschaft und Kultur (vgl. Max Weber: Wissenschaft als Beruf). Entsprechendes gilt für die Geisteswissenschaften, von denen die wissenschaftliche Theologie ein Teil ist. Durch genauere philologische Arbeit, bessere Hypothesen, archäologische Entdeckungen und vor allem: neue Textfunde hat sich die Wissenschaft ein immer genaueres Bild bestimmter Epochen erarbeitet, das freilich niemals abgeschlossen ist. Wir können nicht arbeiten, ohne zu hoffen, daß andere weiter kommen werden als wir. Prinzipiell geht dieser Fortschritt sowohl im Bereich der Naturwissenschaft als auch im Bereich ihrer Schwester, der Geisteswissenschaft, ins Unendliche.

In der recht verstandenen wissenschaftlichen Arbeit, so winzig ihre Fortschritte auch sein mögen, stellt sich das öde Gefühl, nur ein kleines Rädchen im riesigen Uhrwerk zu sein und daher sinnlose Arbeit zu leisten, nur selten ein. Denn jedermann, der wissenschaftliches Arbeiten kennt, weiß auch: eine wirklich endgültige und tüchtige Leistung ist heute stets: eine spezialisierte Leistung. Und wer also nicht die Fähigkeit besitzt, sich einmal Scheuklappen anzuziehen und sich hineinzusteigern in die Vorstellung, daß das Schicksal seiner Seele davon abhängt: ob er diese, gerade diese Textverbesserung an dieser Stelle, in dieser antiken Handschrift, richtig macht, der bleibe der Wissenschaft fern. Niemals wird er oder sie in sich das durchmachen, was man das "Erlebnis" der Wissenschaft nennen kann. Ohne diesen seltsamen, von jedem Außenstehenden belächelten Rausch, diese Leidenschaft: dieses: "Jahrtausende mußten vergehen, ehe du ins Leben tratest, und andere Jahrtausende warten schweigend darauf, ob dir diese Textverbesserung gelingt", hat niemand etwas von wahrer Wissenschaft verstanden. Denn nichts ist für den Menschen als Menschen etwas wert, was er nicht mit Leidenschaft tun kann (vgl. wiederum Max Weber). Das gilt dann ebenso von der Theologie. Sie hat in geradezu atemberaubender Weise jeden einzelnen Vers der Bibel, der Sammlung heiliger Schriften, seziert und durchweg andere Auffassungen des Verlaufs der Geschichte Israels und der Geschichte Jesu und der Apostel entwickelt als die biblischen Verfasser selbst. Auch ihre Ergebnisse sind grundsätzlich verbesserungsbedürftig und sie sind gleichzeitig, wie die Biographien berühmter Theologen uns lehren können, mit Leidenschaft gewonnen worden. Sosehr Unvollkommenheiten zurückblieben: ein Zurück zum Verständnis der biblischen Schriften als Wort Gottes kann es nicht mehr geben.

Theologische Wissenschaft, radikal betrieben, ist allein an der Wahrheit ihrer gemäß den Regeln der Logik und Methodik sowie auf der Grundlage von Sachkenntnis entwickelten Aussagen interessiert. Sie ordnet sich dem Kanon und den Regeln der modernen europäischen Universität ein und verzichtet auf Erkenntnisprivilegien jeglicher Art. Theologie ist insofern eine geschichtliche Disziplin, als sie das Christentum mit Hilfe der historisch-kritischen Methode untersucht. Für die historische Methode sind drei Voraussetzungen grundlegend: die Kausalität, die Berücksichtigung von Analogien und die Erkenntnis von der Wechselbeziehung der historischen Phänomene zueinander. Ihre Arbeitsweise folgt dem methodischen Atheismus der Neuzeit ("als ob es Gott nicht gäbe"), der freilich von einem dogmatischen Atheismus zu unterscheiden ist. Befreit von den übernatürlichen Voraussetzungen und ausgerüstet mit einem Instrumentarium historischer Kritik hat die so verstandene Theologie als wissenschaftliche Disziplin geradezu eine kopernikanische Wende für alle Kirchen- und Religionsgemeinschaften zur Folge. Ihr Siegeszug durch die Universitäten in den letzten drei Jahrhunderten ist eindrücklich. Sie hat sich in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen behauptet und völlig neue Einsichten geliefert.

Die historische Methode ist Teil des emanzipatorischen Prozesses wissenschaftlicher Neugierde. Sie möchte Sinngebungen nachvollziehen, d.h. verstehen, muß sich aber, will sie denn Objektivität anstreben und die Welt entzaubern, gerade deshalb von allen ihr begegnenden fremden Ansprüchen emanzipieren:

vom Anspruch des kanonischen Status bzw. der Heiligkeit bestimmter Schriften,

vom Anspruch einer Offenbarung, da Offenbarung kein wissenschaftlicher Begriff ist,

vom Anspruch, zwischen Rechtgläubigkeit und Ketzerei in einem Sinn zu unterscheiden, der über die Rekonstruktion und Wahrnehmung historischer Ansprüche hinausgeht. Denn hier stehen essentiell nicht entscheidbare dogmatisch-theologische Urteile einander gegenüber.

Die historische Methode verweigert eine Antwort auf die religiöse Wahrheitsfrage und kann nur verschiedene Wahrheitsansprüche miteinander vergleichen. Sie ist darin ideologiekritisch.

Und an dieser Stelle beginnt die Crux mit der heute in Deutschland betriebenen akademischen Theologie, die – nach Konfessionen getrennt - von ihrem eigenen Anspruch her eine Wissenschaft ist. Ihr Wert wird allgemein danach bemessen, inwiefern sie der Kirche nutzt. Ich würde mich demgegenüber eher für eine unkirchliche Theologie starkmachen, deren Wert davon abhängt, ob sie die Wahrheit voranbringt. Um diese Wahrheit ging es auch heute abend bei der Behandlung der Fragen: Ist Jesus auferstanden und: Wollte er für die Sünden der Welt sterben? Die Antworten darauf habe ich aufgrund von wissenschaftlichen Quellenanalysen gegeben. Sind sie falsch und ungenügend begründet, dann wird mich die Wissenschaft widerlegen. Sind sie aber richtig, dann können auch Kirche und akademische Theologie nicht daran vorbeigehen, denn die Wahrheit ist auch an diesem Punkte unteilbar.


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Letzte Aktualisierung am 22. April 2020
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