Gerd Lüdemann's Homepage
Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 2001
(Vortrag in der Urania in Berlin am 14. März 2001)
von Gerd Lüdemann
Vortrag erscheint in den späten Abendstunden des 14. März.
An den Anfang seien zwei Zitate gestellt. Friedrich Delitzsch
schrieb im Jahre 1920:
"Jeder Mensch hat seine besonderen Lebensführungen. Ich hörte
als junger Student bei einem gefeierten liberalen alttestamentlichen
Theologen das Kolleg 'Alttestamentliche Einleitung' und lernte dort
eines Tags, daß das sog. 5. Buch Mosis, das Deuteronomium, gar nicht
von Moses verfaßt sei, obwohl es sich durchweg als von Moses selbst
gesprochen, ja sogar niedergeschrieben bezeugt, daß es vielmehr erst
sieben Jahrhunderte später zu einem ganz bestimmten Zwecke verfaßt
worden sei. Aus einer streng rechtgläubigen lutherischen Familie
hervorgegangen, war ich durch das Gehörte, gerade weil es mich
überzeugte, tief bewegt, und besuchte deshalb noch am gleichen Tage
meinen Lehrer in dessen Sprechstunde, wobei mir mit Bezug auf den
Ursprung des Deuteronomiums das Wort entschlüpfte: Da ist also das 5.
Buch Mosis, was man eine Fälschung nennt? Die Antwort lautete: ,Um
Gottes willen! Das wird wohl wahr sein, aber so etwas darf man nicht
sagen!' Dieses Wort, sonderlich sein ,Um Gottes willen!' klingt in
meinen Ohren fort bis auf den heutigen Tag." Gerhard Ebeling
stellte im Jahre 1967 zur Auferstehung Jesu fest:
"Was als befreiendes und ermächtigendes Geschehen am Anfang
der Kirchengeschichte steht, ist heute vornehmlich Anlaß zur
Verlegenheit und wird als schwer zu erschwingendes Glaubensgesetz
empfunden ... Die Verworrenheit der Diskussionslage und die
Gereiztheit der Diskussionsatmosphäre sind Ausdruck einer
unbewältigten Aufgabe."
Beide Zitate sprechen für sich. Ihre Inhalte weisen auch heute
noch auf etwas, was existentiell und politisch brisant ist -
existentiell brisant, weil die in den Zitaten angesprochene
Bibelkritik vielen Menschen den Glauben unter den Füßen weggezogen
hat, und politisch brisant, weil die beiden großen Kirchen sich auf
die Bibel als Wort Gottes und auf Jesus Christus als den Mittler
zwischen Mensch und Gott berufen. Allein von diesem Auftrag her leiten
sie das Recht ab, in der Welt als Botschafter Christi auch politisch
tätig zu werden. Zusammenfassend und aus der Innenperspektive gesagt:
Ohne Bibel als Wort Gottes keine Kirche, keine Vergebung der Sünden,
kein ewiges Leben bei Gott.
Im ersten Kapitel meines Vortrags frage ich, wie die Kirche und
die ihr dienende akademische Theologie mit den Ergebnissen der
Bibelkritik umgehen, in einem zweiten Kapitel thematisiere ich die
Erforschung von Jesu Auferstehung und Sühnetod und frage wiederum nach
der Verarbeitung der wissenschaftlich Ergebnisse durch Kirche und
Theologie, das abschließende dritte Kapitel formuliert unter der
Überschrift "Kirche, Theologie, Wissenschaft" einen Ertrag.
(1) Wie gehen Kirche und die ihr dienende akademische Theologie mit den Ergebnissen der Bibelkritik um?
Für den Glauben der christlichen Kirchen der Gegenwart und
Vergangenheit gilt die Bibel als heilige Schrift. Der überwiegende
Teil der Christenheit auf Erden - und das sind immerhin zwei
Milliarden Menschen - liest die Bibel im wörtlichen Sinne als vom
heiligen Geist eingegebenes Wort Gottes, so wie es bis zur Aufklärung
allgemein üblich war.
Ein solches Verständnis von Glauben prägt die Kirchengeschichte
bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. Es wird abgesichert durch
zweierlei: erstens durch die Sammlung heiliger Schriften des Alten und
des Neuen Testaments, in denen die Stimme Gottes durch den Mund
auserwählter Menschen an die einzelnen Gemeinden in Vergangenheit und
Gegenwart ergehen soll, und zweitens durch ein bestimmtes
Geschichtsbild, das den Ursprüngen des christlichen Glaubens eine
besondere Bedeutung beimißt. Wir können es kurz so wiedergeben: Jesus,
der sündlose Gottessohn, offenbart seinen Aposteln die reine Lehre und
stirbt für die Sünden der Welt. Er wird am dritten Tage von den Toten
erweckt, befestigt seine Kirche, die ein Herz und eine Seele ist, und
beauftragt die Apostel, die frohe Botschaft allen Menschen zu
verkündigen. Der Teufel, der in der Folgezeit Ketzer in die Welt
schickt, um die rechtgläubigen Christen zu bekämpfen, kann den Lauf
des Evangeliums nicht aufhalten.
Beides, die Auffassung von der Bibel als Gotteswort und die Idee
der Jungfräulichkeit der frühen Kirche, ist, wie eingangs gesagt, bis
zum 17. Jahrhundert Ausgangspunkt des christlichen Dogmas geblieben.
Dies änderte sich erst, als die Revolution des naturwissenschaftlichen
Weltbildes und das Aufkommen der historisch-kritischen Methode einen
großen Dammbruch herbeiführten. Die Bibelkritik beraubte die heilige
Schrift ihrer Göttlichkeit und das Urchristentum seiner Unschuld. Ja,
sie führte zu einer völlig neuen Sicht auch derjenigen Welt, in der
das frühe Christentum entstanden war. Alles geriet durcheinander: Die
Verfasserangaben der meisten biblischen Schriften wurden widerlegt;
man erkannte, dass die Bibel eine Schriftensammlung der siegreichen
christlichen Partei im 2. Jahrhundert war; und das Bild der Urkirche
als einer Jungfrau erwies sich als frommer Wunsch einer christlichen
Gruppierung, die ihre eigene Sicht über wahre und falsche Lehre in die
früheste Zeit zurückverlegte.
Die historisch-kritische Schriftforschung beschwor somit eine
Krise herauf, die bis heute den Bibelausleger begleitet. War für den
Reformator Martin Luther der Wortsinn der Schriften noch gleich mit
ihrem historischen Gehalt, so rückte infolge der historisch-kritischen
Methode beides auseinander: Fortan konnte das Bild der verschiedenen
neutestamentlichen Verfasser von Jesus nicht mehr als identisch mit
dem historischen Jesus gelten. Die Kluft zwischen historischem Faktum
und seiner Bedeutung, zwischen Historie und Verkündigung, zwischen
Geschichte Jesu und dem widersprüchlichen Bild von seiner Geschichte
im Neuen Testament macht es unmöglich, die Bibel als Anrede an
Menschen einer anderen Zeit anzusehen. Zudem ist der moderne
Historiker der Bibel mit Recht davon überzeugt, daß er viele Dinge
besser weiß als die Verfasser der von ihm untersuchten Quellen. Das
gilt nicht nur für alle das antike Weltbild betreffenden Fragen,
sondern erstreckt sich auf zahlreiche den harten Glaubenskern
treffende Punkte. Z.B. wurde Maria mit Sicherheit von einem Mann
geschwängert. Denn die jungfräuliche Geburt ist dadurch als Deutung
erkannt, daß nicht wenige große Männer der Antike, wie etwa Kaiser
Augustus oder Alexander der Große, auch von einer Jungfrau geboren
sein sollen. Außerdem kennen die ältesten Quellen im frühen
Christentum, die Paulusbriefe und das Markusevangelium, die
Jungfrauengeburt gar nicht, so daß auch von hierher die Geburt aus der
Jungfrau historisch als problematisch erwiesen wird. Den
geschichtlichen Gegebenheiten, unter denen sich die Wende zur Neuzeit
vollzog, entspricht es, daß insbesondere Theologie und Kirche von dem
Erwachen des historischen Bewusstsein getroffen wurden. Alsbald wurde
der Kampf im Bereich der Schriftauslegung am heftigsten geführt. Die
römisch-katholische Kirche schottete sich von dem Strudel der
historischen Erforschung der Bibel von Anfang an ab: Der Papst stellte
in zahlreichen Verlautbarungen amtlich in Abrede, dass es irgendeinen
Widerspruch zwischen dem christlichen Glauben und der Geschichte geben
könne. Abweichler hatten hier keine Möglichkeit, Gehör zu finden oder
gar Einfluß auszuüben. So war die historische Erforschung der Bibel
bis zum Anfang unseres Jahrhunderts hinein allein im evangelischen
Bereich möglich. Doch wurde sie auch hier regelmäßig Zielscheibe der
Kritik, bis sie endlich wieder ein Zuhause im Raum der Kirche und sich
dem Glauben unterordnete.
Man sollte meinen, daß Kirche und Theologie angesichts der
Springflut des säkularen historischen Bewußtseins längst aus der
modernen Gesellschaft verschwunden oder zu Randgruppen geworden wären.
Das Gegenteil ist der Fall. Die Ironie der Geschichte wollte es, daß
beide Kirchen und die ihnen zugeordnete akademisch-kirchliche
Theologie äußerlich unbeschädigt aus der Infragestellung durch die
historische Kritik hervorgegangen sind. Sie haben in Deutschland einen
nicht zu unterschätzenden Einfluß auf Staat und Gesellschaft und sind
finanziell besser ausgestattet als je zuvor.
Wie steht es aber wirklich mit dem Verhältnis von Glauben und
Wissen im Lichte der allgemein anerkannten Tatsachen zum frühen
Christentum und zur Bibel? Wir erinnern uns: Der Glaube an die
Jungfrauengeburt mußte sich dem Wissen stellen, daß sie eine spätere
Interpretation und kein historisches Faktum ist. Dazu tritt die für
den Glauben noch schwerer zu verdauende Erkenntnis, daß die meisten
der von Jesus berichteten Worte und Taten erst nach seinem Tod
hinzugedichtet worden sind. Ich nenne hier nur drei Bereiche, in denen
wir es beobachten können. Es geschah erstens im Rahmen der
Auseinandersetzungen innerhalb der frühchristlichen Gemeinden selbst.
Man borgte sich die Autorität Jesu, um konkurrierende Mitchristen zum
Schweigen zu bringen. Ein Beispiel ist das unechte Jesuswort
Lk 16,17:
"Es ist leichter, daß Himmel und Erde vergehen, als daß ein
Häkchen vom Gesetz fällt."
Das Wort entstammt einer Gemeindesituation, in der ein Kampf
zwischen liberalen und konservativen Christen entbrannt war. Die
liberalen Christen sind wahrscheinlich Mitglieder von Gemeinden, denen
auch der Apostel Paulus zuzuordnen ist. Er wurde von konservativen
Christen des Abfalls vom Gesetz beschuldigt. Sie verbreiteten über ihn
das Gerücht, er lehre alle Juden in der Diaspora, ihre Söhne nicht
mehr zu beschneiden (vgl. Apg 21,21). Diese Christen gehörten der
Gemeinde aus Jerusalem an, die unter der Führung des Jakobus, eines
Bruders Jesu, zunehmend eine restaurative Haltung zum Gesetz einnahm.
In diesen konservativen Kreisen dürfte Jesus ein so rigoroses Wort wie
Lk 16,17 zugeschrieben worden sein: "Es ist leichter, daß Himmel
und Erde vergehen, als daß ein Häkchen vom Gesetz fällt." Um die
eigene Position im Kampf gegen andere Christen zu verteidigen, ließ
man Jesus diesen Spruch sagen.
Zweitens erfand man aber auch Jesusworte im Kampf gegen ungläubige
Juden. So legte der erste Evangelist Jesus folgende Sätze in den Mund:
Mt 23,34-38:
"(34) Siehe, ich sende zu euch Propheten und Weise und
Schriftgelehrte; und von ihnen werdet ihr einige töten und kreuzigen,
und einige werdet ihr geißeln in euren Synagogen und werdet sie
verfolgen von einer Stadt zur anderen, (35) damit über euch komme all
das gerechte Blut, das vergossen ist auf Erden ... (36) Wahrlich, ich
sage euch: Das alles wird über dieses Geschlecht kommen. (37)
Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die
zu dir gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen,
wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel; und ihr habt
nicht gewollt! Siehe, euer Haus soll euch wüst gelassen werden."
Die christlichen Propheten, Weisen und Schriftgelehrten in V. 34
zielen auf die Gegenwart des Mt. Sie werden das Schicksal der Tötung,
Kreuzigung und Geißelung erleiden, und zwar durch die von Jesus der
Heuchelei bezichtigten Pharisäer und Schriftgelehrten. Dabei denkt Mt
an ein Gericht über ganz Israel. Die Klage über Jerusalem setzt die
Strafe der Verwüstung Jerusalems im Jüdischen Krieg voraus, der erst
40 Jahre nach Jesu Tod stattfand. Denn die Verwüstung der Stadt wird
hier nicht in Aussicht gestellt, sondern gilt als bereits geschehen:
Die Stadt soll wüst (= in Trümmern) liegen bleiben.
Drittens wurden Jesusworte fingiert, um die besondere Würde des
Gottessohnes auszudrücken. So entstammen zwei Worte, die Jesus am
Kreuz gesprochen haben soll, der erbaulichen Lektüre der
alttestamentlichen Psalmen. Man vgl. den bekannte Verzweiflungsruf
Mk 15,34:
"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?",
der ein Zitat aus Ps 22,2 darstellt. Und die versöhnliche Anrede
Lk 23,46:
"Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist"
entspricht wörtlich Ps 31,6.
Weitere Fakten sind ebenso schwere Herausforderungen an den
christlichen Glauben. So haben die sogenannten messianischen
Weissagungen, die traditionell auf Jesus bezogen werden, mit diesem
nichts zu tun. Zwar erklingen sie alljährlich im Weihnachts- und
Karfreitagsgottesdienst. Dies ändert aber nichts daran, daß sie erst
nachträglich auf Jesus bezogen wurden. So hatte weder der Prophet
Jesaja im achten vorchristlichen Jahrhundert Jesus im Sinn, als er dem
König Ahas die Geburt eines Sohnes voraussagte (vgl. Jes 7,14), noch
haben die alttestamentlichen Gottesknechtslieder irgendetwas mit dem
gekreuzigten Gottessohn zu tun. Mit anderen Worten, die so
eindringlichen Aussagen von
Jes 53,4:
"Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere
Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der von Gott geschlagen und
gemartert wäre ..."
beziehen sich gar nicht auf den gekreuzigten Gottessohn, sondern
auf jemand anderen, vielleicht sogar kollektiv auf das Volk Israel ein
halbes Jahrtausend vor dem Auftreten Jesu.
Ich könnte hier die durch die historische Kritik unwiderleglich
und ein für allemal herausgearbeiteten Widersprüche zwischen dem
christlichen Glauben und dem tatsächlichen geschichtlichem Hergang
noch lange fortsetzen. Für die Kirche scheint die Schlacht
aussichtslos geworden zu sein, denn zwischen dogmatischer Sicht und
historischer Rekonstruktion klafft ein breiter garstiger Graben,
dessen Überbrückung bis heute nicht gelingen will.
Trotzdem geht es Kirche und akademischer Theologie in Deutschland
äußerlich gut. In einem gewissen Sinne hat man sogar Frieden mit der
historischen Kritik geschlossen. Inzwischen ist es vielfach eine
Selbstverständlichkeit geworden, Jungfrauengeburt, Wunder sowie
messianische Weissagungen als historische Fakten preiszugeben, und
"Gemeindebildung" hat sich als unentbehrlicher Ausdruck in
der Jesusforschung etabliert. Vielfach gewinnt man den Eindruck:
Allein bei der Auferstehung und dem ihr zugeordneten Tod Jesu für die
Sünden gewährt man der historischen Kritik kein Pardon. Die
Auferstehung soll, muß und kann - wenigstens nach Meinung vieler
Theologen und Kirchenmänner - leisten, was früher die Evangelien
insgesamt, insbesondere aber Wunder, Auferstehung und Jungfrauengeburt
zusammen leisteten: dem Glauben einen Grund geben. Je schwieriger das
historische Verständnis der alttestamentlichen Weissagungen, der
Wunder, der Jungfrauengeburt und der unechten Worte Jesu wurde, um so
mehr konzentrierte man sich auf die Auferstehung als unentbehrliches
Requisit und meinte hier den Punkt der Punkte zu finden. Einige Zitate
von prominenten Theologen mögen das belegen: "Das Christentum
steht und fällt mit der Wirklichkeit der Auferweckung Jesu von den
Toten durch Gott" (Jürgen Moltmann). "Das Christentum
beginnt mit Ostern. Ohne Ostern kein Evangelium. Ohne Ostern kein
Glaube, keine Verkündigung, keine Kirche, kein Gottesdienst, keine
Misiion" (Hans Küng).
(2) Die Auferstehung Jesu - eine zuverlässige Grundlage des christlichen Glaubens?
Wie steht es aber wirklich mit der Auferstehung Jesu? Vermag sie
trotz der kirchlichen Dementis fast aller anderen Glaubenssätze dem
Ansturm der Kritik standzuhalten? Gestattet wenigstens sie der Kirche,
an einer Stelle den Einbruch der Offenbarung Gottes in diese Welt
aufrechtzuerhalten?
Im folgenden seien zwei Texte aus den neutestamentlichen
Evangelien zur Auferstehung Jesu untersucht (Mk 16 und Mt 27-28) und
anschließend – ausgehend von der ältesten Überlieferung (1 Kor
15,3-5) – der Versuch unternommen, die Entstehung des ältesten
Glaubens an Jesu Auferstehung (einschließlich seines Sühnetodes)
nachzuzeichnen. Einsetzen muß ich aber mit einer Analyse des Vorworts
zum Lukasevangelium (= LkEv), weil erst so meine Vorgehensweise
plausibel wird. (Zur Erläuterung sei angemerkt daß "Lukas",
"Matthäus" und "Markus" lediglich traditionelle
Namen für die Autoren der ersten drei Evangelien sind, deren wirkliche
Verfasser uns als Personen unbekannt bleiben.)
Lk 1,1-4:
(1) Nachdem viele es unternommen haben, einen Bericht von den
Dingen zu schreiben, die sich unter uns erfüllt haben, (2) wie uns das
die überliefert haben, die es von Anfang an gesehen haben und Diener
des Wortes gewesen sind, (3) so habe auch ich es für gut befunden,
nachdem ich alles von Anfang an sorgfältig erkundet habe, es für dich,
geehrter Theophilus, in der Reihenfolge, in der es geschehen ist,
aufzuschreiben, (4) damit du den sicheren Grund der Lehre erfährst, in
der du unterrichtet wurdest.
Das Vorwort zum LkEv besteht aus einem herausragend stilisierten
griechischen Satz, der den Anspruch seines Verfassers betont. Es ist
die einzige Stelle in den ersten drei Evangelien (= Synoptiker), in
der ein Evangelist Auskunft über das Ziel seiner Arbeit und über seine
Quellen gibt. Daraus ergeben sich wichtige Einsichten. Erstens hat es
vor Lk schon andere ("viele") Verfasser von Evangelien
gegeben (V. 1). Zweitens waren diese bei den Begebenheiten - ebenso
wie Lk - nicht dabei. Diese Bedingung erfüllt erst die Gruppe von
Augenzeugen und Dienern des Wortes, welche die Quelle der
Überlieferung sind (V. 2). Drittens will Lk seine Vorgänger
übertreffen, indem er allem noch einmal sorgfältig von Anfang an
nachgegangen ist, um es der Reihe nach, d.h. in richtiger
chronologischer Folge, aufzuschreiben (V. 3). Viertens will Lk mit
seinem Werk den Glauben stützen und auf historische Weise seinen Grund
absichern (V. 4). Denn Glaube gründet in Realitäten und nicht auf
Sinnestäuschung.
Das Vorwort ist wichtig für die Frage der Entstehung der
Jesustraditionen. Aus ihm geht folgendes hervor: Am Anfang steht die
mündliche Überlieferung der Augenzeugen und Diener des Wortes (V. 2).
Keiner von ihnen hat sein Wissen um Jesus schriftlich niedergelegt.
Dazu kam es vielmehr erst später, als einzelne Christen Evangelien
verfaßten. Maßgebendes Ansehen genossen diese Schriften aber noch
nicht. Lk hat mit seinem eigenen Werk diese Linie fortgesetzt und
zumindest das MkEv und eine Quelle von Jesussprüchen (= Q)
verarbeitet.
Soweit die programmatischen Bemerkungen des dritten Evangelisten
über Grund und Absicht seiner Darstellung. Ich setze voraus, daß
Ähnliches auch für die anderen Evangelisten gilt. Daraus ergibt sich
auch bei der Lektüre der anderen Evangelien die Aufgabe, zunächst
immer erst nach der Absicht zu fragen, mit der sie die Geschichten
weitererzählen.
Mk 16,1-8: Die Verkündigung des Auferstandenen im leeren Grab
(1) Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria die
Magdalenerin und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome
wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. (2) Und sehr früh
am ersten Tag der Woche kamen sie zum Grab, als die Sonne aufging. (3)
Und sie sagten zueinander: "Wer wälzt uns den Stein von der Tür
des Grabes?" (4) Und als sie hinschauen, sehen sie, daß der Stein
weggewälzt worden ist; denn er war sehr groß. (5) Und als sie in das
Grab hineingingen, sahen sie einen Jüngling zur rechten Hand sitzen,
bekleidet mit einem langen weißen Gewand, und sie entsetzten sich. (6)
Er aber sagt ihnen: "Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von
Nazareth, den Gekreuzigten. Er wurde auferweckt, er ist nicht hier.
Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. (7) Geht aber hin und sagt
seinen Jüngern und Petrus: ,Er zieht euch nach Galiläa voraus; dort
werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.'" (8) Und sie
gingen hinaus und flohen von dem Grab; es hielten sie nämlich Zittern
und Betäubung im Bann. Und sie sagten niemandem etwas; sie fürchteten
sich nämlich.
Der vorliegende Text ist in mancherlei Weise merkwürdig: Der erste
Anstoß, den er bietet, betrifft seine Stellung am Ende des
Evangeliums. Es stellt sich die Frage: Wie kann ein Evangelium mit dem
Satz: "Sie fürchteten sich nämlich" (V. 8) geschlossen
haben? Nun hat man oftmals versucht, das ursprüngliche Ende des MkEv
zu rekonstruieren. Da ihm im 2. Jahrhundert verschiedene Schlüsse
gegeben worden sind und da die Seitenreferenten Mt und Lk die
Mk-Vorlage, die bis 16,8 reichte, mit einer Ergänzung ausgestattet
haben, setzt man dabei voraus, daß der ursprüngliche Mk-Schluß schon
früh weggebrochen sei (Blattverlust oder absichtliche Tilgung).
Gegenüber allen Ergänzungen ist jedoch aus methodischen Gründen
zunächst der Versuch zu unternehmen, das überlieferte MkEv in seiner
vorliegenden Gestalt zu verstehen.
Der zweite Anstoß besteht in dem Inhalt des von Mk Berichteten.
Wenn die Frauen dem Auftrag des Jünglings keine Folge leisten, wie V.
8 sagt, wie soll dann die Botschaft von der Auferstehung Jesu die
Jünger und Petrus überhaupt erreicht haben? Daraus ist zu folgern:
Auch wenn an dieser Stelle etwas nicht zu stimmen scheint, so mag
trotzdem die Botschaft an die Leser des Evangeliums im Sinne des
Verfassers eindeutig sein. Mit anderen Worten: Der implizite
Widerspruch in V. 8 muß im Zusammenhang des ganzen Textes auf seine
Absicht hin abgehört werden.
Vorweg sei betont, daß sich allein an diesem Text die Frage
entscheidet, ob dem leeren Grab ein historischer Wert zukommt. Denn
die Berichte der anderen drei Evangelien verarbeiten die Erzählung des
MkEv und verändern diese gemäß ihren Intentionen. Insbesondere fällt
auf, daß alle die Nicht-Erzählung der Kunde vom leeren Grab, wie sie
sich bei Mk (16,8) findet, in ihr gerades Gegenteil verkehren.
Die Erzählung Mk 16,1-8 besteht aus drei Teilen: Die Frauen sind
zunächst auf dem Wege zum Grab (V. 2-4), dann im Grab (V. 5-7), und
schließlich fliehen sie vom Grab weg (V. 8). Eigentlich entdecken sie
gar nicht das leere Grab, sondern den Jüngling, dessen Verkündigung:
"Jesus ist auferweckt worden" (V. 6), den Mittelpunkt der
Geschichte bildet. Demnach steht fest, daß die Geschichte kunstvoll
aufgebaut ist.
Wie ist es um die Historizität des Erzählten bestellt?
Oftmals wendet man eine Subtraktionsmethode an, um zu dem
historischen Kern vorzustoßen. Da sich recht viele unglaubwürdige
Elemente in dem Text finden und – getreu der obigen Methode
– abzuziehen sind, bleibt dann häufig nur der Befund übrig, daß
drei namentlich genannte Frauen das Grab Jesu am dritten Tag besucht
haben, zuweilen aber auch, daß das von ihnen vorgefundene Grab leer
war.
Merkwürdigerweise hat man bisher ein Argument gegen die
Historizität des Erzählten noch nicht recht gewürdigt. Am Ende der
Geschichte heißt es, die Frauen hätten entgegen dem Befehl des
Jünglings den Jüngern nichts von dem Geschehenen weitererzählt.
Begründung: "Denn sie fürchteten sich" (V. 8). Dieser Vers
ist das Ende des MkEv. Es ist sicher, daß der Vf. sich dabei etwas
gedacht hat, denn auch in der Antike wurden Anfang und Ende eines
literarischen Werkes mit besonderer Sorgfalt bearbeitet. Was folgt
daraus für die Interpretation?
Mk gibt mit dem Schluß zu verstehen, daß die Kunde vom leeren Grab
bisher unbekannt geblieben ist, denn die Frauen haben geschwiegen. Er
selbst erzählt als erster davon. Wie soll das möglich sein? Antwort:
Er selbst war Augenzeuge und im Grab dabei, denn in der Gestalt des
Jünglings verbirgt sich wohl kein anderer als der Vf. des MkEv selbst.
Daß dies keine phantastische Deutung ist, ergibt sich aus der
Anwesenheit eines Jünglings in der Nähe Jesu an einer anderen Stelle
des MkEv. In Mk 14,51-52 heißt es: "Ein Jüngling aber folgte ihm
(Jesus) nach, der war mit einem Leinengewand bekleidet auf der nackten
Haut; und sie greifen nach ihm. Er aber ließ das Gewand fahren und
floh nackt davon." Diese Verse stehen in Spannung zu Vers 50, der
von der Flucht aller berichtete.
Der Jüngling ist viel umrätselt. Er folgt Jesus nach bzw.
begleitet ihn. In Mk 5,37 bezieht sich das Verb, das wörtlich
übersetzt "mitnachfolgen" bedeutet, auf den engsten
Jüngerkreis. Wahrscheinlich bringt sich bereits in Mk 14,51f der Vf.
des MkEv selbst als Nachfolger Jesu ein und erhebt den Anspruch,
länger als die geflohenen Nachfolger bei Jesus ausgeharrt zu haben.
Danach erscheint er wieder im Grab Jesu und richtet den Frauen die
entscheidende Botschaft aus: "Jesus wurde auferweckt, er ist
nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten." Das Grab
mußte also infolge der Auferweckung leer gewesen sein, und Mk ist der
erste, der davon berichtet,
Daraus folgt: der erste Bericht vom leeren Grab ist etwa in das
Jahr 70, der mutmaßlichen Abfassungszeit des MkEv, zu versetzen - 40
Jahre nach dem Tode Jesu. Es leuchtet ein, daß damit der historische
Wert des leeren Grabes Jesu gleich Null ist.
Matthäus 27, 62 - 28,15:
(62) Am nächsten Tag, der auf den Rüsttag folgt, kamen die
Hohenpriester mit den Pharisäern zu Pilatus (63) und sprachen:
"Herr, wir haben daran gedacht, daß dieser Verführer sprach, als
er noch lebte: ,Ich werde nach drei Tagen auferweckt.' (64) Darum
befiehl, daß man das Grab bewache bis zum dritten Tag, damit nicht
seine Jünger kommen und ihn stehlen und zum Volk sagen: ,Er wurde von
den Toten erweckt', und der letzte Betrug ärger wird als der
erste." (65) Pilatus sprach zu ihnen: "Da habt ihr die
Wache; geht hin und bewacht es, so gut ihr könnt." (66) Sie
gingen hin und sicherten das Grab mit der Wache und versiegelten den
Stein.
(28,1) Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche
anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem
Grab zu sehen. (2) Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der
Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein
weg und setzte sich darauf. (3) Seine Gestalt war wie der Blitz und
sein Gewand weiß wie der Schnee. (4) Die Wachen aber erschraken aus
Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot. (5) Aber der Engel
sprach zu den Frauen: "Fürchtet euch nicht! Ich weiß, daß ihr
Jesus, den Gekreuzigten, sucht. (6) Er ist nicht hier; er wurde
auferweckt, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er
gelegen hat; (7) und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern: ,Er
wurde von den Toten erweckt. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach
Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch
gesagt.'" (8) Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und
großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.
(9) Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: "Seid
gegrüßt!" Und sie traten zu ihm und umfaßten seine Füße und
fielen vor ihm nieder. (10) Da sprach Jesus zu ihnen: "Fürchtet
euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, daß sie nach
Galiläa gehen: dort werden sie mich sehen."
(11) Als sie aber hingingen, siehe, da kamen einige von der Wache
in die Stadt und verkündeten den Hohenpriestern alles, was geschehen
war. (12) Und sie kamen mit den Ältesten zusammen, hielten Rat und
gaben den Soldaten viel Geld (13) und sprachen: "Sagt: ,Seine
Jünger sind in der Nacht gekommen und haben ihn gestohlen, während wir
schliefen.' (14) Und wenn es dem Statthalter zu Ohren kommt, wollen
wir ihn beschwichtigen und dafür sorgen, daß ihr sicher seid."
(15) Sie nahmen das Geld und taten, wie sie angewiesen waren. Und
diese Kunde geht bei Juden um bis auf den heutigen Tag.
[Es folgen V. 16-20: Erscheinung und Missionsbefehl]
Bei den Auferstehungsgeschichten legt Mt den Bericht des Mk
(16,1-8) vom leeren Grab zugrunde, berichtet aber (ebenso wie Lk)
entgegen der Aussage von Mk 16,8 davon, daß die Frauen die Kunde von
der Auferweckung Jesu weitererzählen (V. 8) und nicht geschwiegen
haben. Außerdem ergänzt Mt den Text des Mk um zwei Berichte von
Erscheinungen des Auferstandenen (28,9-10: vor den Frauen am Grabe;
28,16-20: vor den Elfen in Galiäa mit Missionsbefehl). Die zuletzt
genannte Erscheinungserzählung bot sich schon deswegen an, weil der
Schluß des MkEv (16,8) für ihn ebenso wie für Lk aber auch für die
späteren Leser des MkEv unbefriedigend war. Sodann steuert er eine
Geschichte von den Grabwächtern bei, welche die im Anschluß an Mk
16,1-8 wiedergegebene Erzählung vom Gang der Frauen zum leeren Grab
rahmt. Beide Zusätze zum MkEv sind von einem massiven Antijudaismus
bestimmt.
In der Erzählung von den Grabeswächtern nimmt Mt 28,13 (die
Soldaten sollen behaupten: Jesu "Jünger sind in der Nacht
gekommen und haben ihn gestohlen, während wir schliefen") auf
27,64 Bezug (Pilatus soll befehlen, "daß man das Grab sichert bis
zum dritten Tag, damit nicht seine Jünger kommen und ihn stehlen und
dem Volk sagen: 'Er wurde auferweckt von den Toten'"). Wider
besseres Wissen sollen die Soldaten das Gerücht verbreiten, die Jünger
hätten den Leichnam gestohlen, während sie selbst schliefen. Einen
solchen Leichenraub hatten die jüdischen Oberen aber schon vorher
befürchtet (27,64). Nun, da Jesus wirklich auferstanden ist, bestechen
sie die Soldaten, die ja selbst indirekt Zeugen der Auferstehung Jesu
sind (vgl. 28,11), gezielt das Gegenteil zu verbreiten. Die jüdischen
Führer machen sich also der Anstiftung zur Lüge schuldig.
Die Auferstehungsgeschichte, wie sie Mt erzählt, ist demnach keine
faktengetreue Erzählung vom wirklichen Hergang, sondern ein
polemischer Traktat gegen die nicht-christusgläubigen Juden. So kann
weder die Überlieferung von der Bestechung der Grabeswächter
historisch ernstgenommen werden noch die Sicht, daß die jüdischen
Oberen von der Tatsache der Auferstehung Jesu wußten. All das
entspringt einer antijüdischen Polemik. Wir haben hier ein
eindrückliches Beispiel dafür, wie Jesustexte im Dienste einer Polemik
gegen Juden manipuliert worden sind.
Nach diesem Ausflug in die kirchliche Osterlegende (zu ihr gehören
auch noch die hier nicht mehr zu thematisieren Stücke, die von einem
Verzehr von Fisch und Brot durch den auferstandenen Jesus sprechen)
komme ich zum ältesten erhaltenen Text, der von Sühnetod und
Auferstehung Jesu handelt.
1Kor 15,1-5:
(1) Ich erinnere euch aber, Brüder, an das Evangelium, das ich
euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch
fest steht, (2) durch das ihr auch gerettet werdet, wenn ihr es
festhaltet in der Gestalt, in der ich es euch verkündigt habe; es sei
denn, ihr wäret umsonst zum Glauben gekommen. (3) Denn als erstes habe
ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe, daß Christus
starb für unsere Sünden nach den Schriften; (4) und daß er begraben
wurde; und daß er auferweckt worden ist am dritten Tage nach den
Schriften; (5) und daß er Kephas erschien, dann den Zwölfen.
Hier erinnert Paulus die Adressaten zunächst daran, was er ihnen
bei der Gründung der Gemeinde überliefert hat (V. 1.3a), und betont,
daß er dies selbst - wohl bald nach seiner Bekehrung (etwa 34 nChr) -
empfangen habe (V. 3b). Es ist nun ein großer Glücksfall für die
historische Rekonstruktion, daß der Apostel im Anschluß daran in V.
3c-5 diese auch in chronologischem Sinne vorpaulinische Überlieferung
noch einmal zitiert.
"Daß Christus für unsere Sünden starb nach den Schriften und
daß er begraben wurde und daß er auferweckt worden ist am dritten Tage
nach den Schriften und daß er dem Kephas erschien, dann den
Zwölfen."
In dieser Tradition, die aus einem parallel gebauten Zweizeiler
besteht, geht es um einen je doppelten "Beweis": einerseits
aus den Schriften, auf die jedoch nur allgemein verwiesen wird, und
andererseits aus einer bestätigenden Tatsache. Dabei bekräftigt die
Aussage über das Begräbnis Jesu die Tatsache seines Todes, und die
Aussage über die Erscheinungen vor Kephas und den Zwölfen die Tatsache
der Auferweckung. Die Aussage über das Begräbnis wird demgegenüber
nicht mit der Auferweckung Jesu in Verbindung gebracht, etwa so, daß
das Grab leer gewesen und also Jesus auferstanden sein müsse. Hätte
Paulus von einer Tradition des leeren Grabes gewußt, wäre nicht
einzusehen, warum er sie gegen die Korinther nicht ins Spiel brachte,
denn dann hätte er ein Argument mehr für die leibliche Auferstehung
zur Verfügung gehabt. Wir müssen also mit allem Nachdruck sagen, daß
die Aussage der Auferweckung Jesu aus der Erscheinung vor Kephas
gefolgert wurde und nicht aus dem leeren Grab Jesu.
Was ergibt sich daraus für das Problemfeld "Auferstehung
Jesu"?
Am Anfang stand eine umstürzende visionäre Erfahrung des Kephas,
an die sich – geradezu ansteckend – Einzel- und
Gruppenvisionen anschlossen. Ihr Inhalt war der himmlische Jesus, den
Gott zu sich erhöht hatte. Also mußte Gott - so die theologische
Folgerung – den schmählich am Kreuze Hingerichteten von den
Toten erweckt haben. Damit war gleichzeitig das Ärgernis des Todes
Jesu ausgeräumt und man erhielt eine Antwort auf seinen Sinn: Er war
geschehen für die Sünden der Menschen. Man beachte jedoch die
Reihenfolge: Erst im Anschluß an die Erkenntnis der Auferweckung Jesu
von den Toten verstand man die Absicht des Todes Jesu. Er war nach der
Meinung der Jünger geschehen für die Sünden der Menschen und ebenso
wie die Auferweckung natürlich schriftgemäß. (In der Formel 1Kor
15,3-5 ist die Reihenfolge von Sühnetod und Auferweckung aus
verständlichen Gründen umgekehrt.)
Da Primärquellen aus dem unmittelbaren Jüngerkreis fehlen, müssen
viele Einzelheiten und Deutungsmuster offen bleiben. Ich habe in
meinem Buch über die Auferstehung Jesu aus dem Jahre 1994 die Vision
des Kephas als mißglückte Trauerarbeit zu verstehen gesucht und möchte
der Einfachheit halber darauf verweisen (vgl. Gerd Lüdemann: Die
Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie, 1994).
Wissenschaftlich ertragreicher ist die Untersuchung der
Ostererfahrung des Paulus, weil wir von ihr Primärquellen von dem
Betroffenen selbst zur Verfügung haben. Sie kann eindeutig aus anderen
Belegstellen der Paulusbriefe als Vision verstanden werden. Man vgl.
besonders 1Kor 9,1: Paulus hat den Herrn gesehen. Dieser Sachverhalt
wird in der protestantischen Bibelforschung und Dogmatik oft
abgestritten, und die Geschichte der Verständnislosigkeit gegenüber
Phänomenen wie Visionen (und Auditionen) muß erst noch geschrieben
werden. Visionen waren bei Paulus nicht auf das
"Damaskusereignis" beschränkt. Auch in späterer Zeit war
sein Leben von visionären Erfahrungen begleitet (Gal 2,2; Apg 16,9),
die er oft mit einer Krankheit bezahlen mußte (2Kor 12,7f).
Visionen sind Vorgänge im menschlichen Geist und Produkte der
eigenen Vorstellungskraft, obwohl es Visionäre regelmäßig anders
erzählen: Sie empfangen von außen Bilder und vernehmen von außen
Laute. So hat auch Paulus mit Sicherheit niemals daran gezweifelt, daß
er Jesus damals (und auch später) wirklich gesehen hat, und die Vision
wirkte auf ihn mit der vollen Kraft einer "objektiven"
Tatsache. Doch kann die Objekthaftigkeit der Ausdrucksweise nicht
dagegen ausgespielt werden, daß es sich dabei um den religiösen
Ausdruck des Subjekts handelt. Die Vision ist ein Primärphänomen, eine
religiöse Erfahrung, welche die Raum-Zeit-Beschränkung aufhebt und -
wie sollte es anders sein - sich in einem nicht-rationalen Bereich
vollzieht. Sie entstammt einem Denken in urtümlichen Bildern und
Symbolen, das über den Verstand hinaus- ja, diesem bereits vorangeht
und allen Menschen in unterschiedlichem Maße zueigen ist.
Wie konnte es zu der Christusvision des Paulus kommen, zumal er
selbst Jesus gar nicht persönlich gekannt hat? War damit nicht von
vornherein ein ganz anderes Bild des Auferstandenen als bei den
Jüngern mitgegeben? Wie war dann Paulus überhaupt in der Lage, die
persönlichen Jünger Jesu von der "Echtheit" seiner eigenen
Christusvision zu überzeugen? Solche und ähnliche Fragen türmen sich
nur so auf, wenn man die früheste Zeit der christlichen Bewegung
historisch zu verstehen sucht.
Ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der Ostererfahrung des
Paulus liegt in seiner Tätigkeit als Christenverfolger, auf die er
1Kor 15,9 u.ö. verweist. Im Alter von etwa 30 Jahren nahm sein Leben
durch das sogenannte Damaskusereignis eine entscheidende Wende. Fortan
wurde es Gegenstand des Lobpreises der von ihm einst verfolgten
christlichen Gemeinden. Sie sangen nun: "Der uns einst verfolgte,
predigt jetzt den Glauben, den er einst zu zerstören suchte" (Gal
1,23).
Wie konnte diese Wende geschehen?
Führen wir das Gedankenexperiment durch, man hätte Paulus vor der
Damaskusvision analysieren können, so dürfte die Analyse eine starke
Strömung zu Christus hin aufgewiesen haben, ja, die Annahme seiner
unbewußten Christlichkeit liegt dann nicht mehr so fern. Die vehement
aggressive Haltung des Paulus gegen die Christen, sein Eifer, mag
damit zusammenhängen, daß die Grundelemente der von ihm verfolgten
Christen ihn unbewußt angezogen haben. Jedoch aus Angst vor seinen
unbewußten Strebungen hat er diese auf die Christen projiziert, um sie
dort um so ungestümer attackieren zu können.
Mit der Vision Christi ergab sich für Paulus eine Umschichtung.
Der mit der Verfolgung aufgestaute Schuldkomplex wurde durch die
Gewißheit, in Christus zu sein, abgelöst. Der Verfolger stürzte in
Christus förmlich hinein und erlebte dies als Befreiung, Erleuchtung
und Leben. Dabei machte Paulus die ungeheure Erfahrung, ein neues Ich
zu bekommen, das mit Christus identisch ist (vgl. Gal 2,20:
"Christus lebt in mir"). Dieses fremde, ihm geschenkte Ich
kam seit der Damaskusvision immer mehr zum Durchbruch und überstand
auch die Verzögerung des Kommens Jesu auf den Wolken des Himmels.
Zeitvorstellungen überholend kam Paulus am Ende seines Lebens zur
Überzeugung, daß die Vereinigung mit Christus unmittelbar im Tod
erfolgt und nicht erst nach einiger Verzögerung am Ende der Zeit, wie
er anfangs geglaubt hatte. "Christus" hatte bei Paulus
offenbar die Qualität der Unzerstörbarkeit und ermöglichte daher dem
Apostel die Lebensvollendung bereits im Tod.
Ziehen wir einen Ertrag aus der Analyse der ältesten christlichen
Auferstehungstexte, so ist das Resultat in historischer Hinsicht
eindeutig: Am Anfang stand die Vision Jesu und daran heftete sich die
Folgerung, daß Jesus lebt, weil Gott ihn zu sich erhöht hat, und daß
sein schmählicher Tod zur Erlösung von den Sünden diene. Demgegenüber
war Jesu Grab war voll und sein Leichnam verweste, soweit er nicht
überhaupt von Geiern und Schakalen direkt vom Kreuzesbalken
weggefressen wurde. "Daß sich an Jesus in einer Art ,Zeitraffung'
antizipatorisch auch im Leiblichen vollzogen hat, was sich im Eschaton
mit den Leibern aller Gestorbenen begeben wird" (J. Ringleben)
und daß deswegen das Grab leer gewesen sein müsse, ist eine
Glaubensaussage ohne wissenschaftliche Relevanz. Immerhin scheint sie
mir innertheologisch stimmiger zu sein als die These eines anderen
bedeutenden Theologen, daß auch dann theologisch vertretbar von Jesu
Auferweckung gesprochen werden könne, wenn das Grab Jesu voll gewesen
sei. Er schreibt: "Ist die Verwesung unseres Leibes kein
hinreichender Grund, Gott an unserer Auferweckung zu hindern, dann
gilt das erst recht von Jesus" (I. Dalferth). Doch dann wäre der
erscheinende Jesus nur eine Art Gespenst und allenfalls ein
"farbiger Schatten seiner selbst" (J. Ringleben). Mit einem
solchen Phänomen wäre die Verehrung eines anderen bedeutenden Menschen
vergleichbar, etwa die Goethes, den einige seiner Anhänger auch schon
einmal nach seinem Tod "gesehen" haben dürften.
Wie werden aber führende Theologen und Kirchenführer damit fertig,
daß die Auferstehung nicht stattfand, sondern aus einer Vision
bestand? Diese Frage stellt sich um so dringender, als bereits in der
Antike Kritik an diesen Visionen von gebildeter Seite nicht lange auf
sich warten ließ. So machte sich Celsus über Maria Magdalena lustig
und führte ihr Sehen Jesu nach dessen Tod darauf zurück, "daß
einer vielleicht die Anlage zu solchen Träumen in sich trug, oder, ein
Opfer irregeleiteter Phantasie, sich nach Belieben ein solches
Trugbild schuf ..., wie dies schon Tausenden begegnet ist"
(Origenes, Gegen Celsus II 60). Und Lukrez berichtete von Bildern im
Traum und bei Krankheit, "so daß wir die zu uns zu reden und zu
hören glauben, die schon dahingegangen sind und deren Gebeine die Erde
umfängt" (Über die Natur der Dinge I 134f).
Ich registriere drei Ansätze zur Schadensbegrenzung:
Erstens: Man elementarisiert den eigenen Glauben und beschreibt
ihn mit Kurzformeln wie: Ich glaube an Kreuz und Auferstehung.
Erinnert sei daran, wie kürzlich der EKD-Ratsvorsitzende Kock die
"Rechtgläubigkeit" von Jürgen Fliege dadurch besiegelte, daß
er ihm bescheinigte, Kreuz und Auferstehung zu bekennen. In
Wirklichkeit liegt hier aber eine Irreführung vor, falls man damit
sagen will, Kreuz und Auferstehung seien als Glaubensgegenstände
parallel zu sehen. Einerseits suggeriert ja das "und" in der
Wendung "Kreuz und Auferstehung" eine Entsprechung zwischen
beiden Größen. Wahrscheinlich ist aber etwas anderes gemeint: Der
Christ versteht die Auferstehung als Interpretation des Kreuzes.
Anders gesagt: Der Satz, "Jesus ist auferstanden" ist eine
gläubige Deutung des Kreuzestodes Jesu. Der unvoreingenommene Hörer
sieht sich schlichtweg getauscht, wenn er über den wahren Sachverhalt
aufgeklärt wird, daß Jesus gar nicht auferstanden ist.
Zweitens: Sachlich bedeutsam an der Rede von der Auferstehung Jesu
sei nur, daß der Gekreuzigte nicht vernichtet ist. Denn der
Auferstandene sei der Gekreuzigte und nur als solcher für uns heute zu
sehen. Doch scheint mir eine solche inhaltliche Bestimmung von
Auferstehung sinnlos, da sie mit dem Wort "Auferstehung" und
der in den biblischen Texten gemeinten Sache schlechterdings nichts
mehr zu tun hat Unter dieses harte Verdikt fällt auch das Programm
Rudolf Bultmanns, die Botschaft des Neuen Testaments zu
"entmythologisieren". Bultmann wollte den Kern des
christlichen Glaubens durch eine Interpretation bewahren, die sich mit
dem heutigen Weltbild vereinbaren läßt. Jedoch ist der zur Rettung der
Auferstehung herangezogene Gedanke, Jesus sei "in die
Verkündigung auferstanden", eine so vollständige Entleerung der
in der Bibel vorausgesetzten Sache der körperlichen Auferstehung Jesu,
daß er mit keiner historischen Tatsache mehr zusammenprallen kann. Er
bleibt, ohne daß ihm eine Spur von historischem Gehalt anhaftet, nur
als Worthülse zurück.
Drittens: Ein weiterer Ansatz versucht den christlichen Glauben
unter Rückgang auf den historischen Jesus zu retten. Man streicht dann
guten Gewissens alles Sekundäre, sieht das Bekenntnis seiner
Auferstehung als gläubige Interpretation des Kreuzes an und glaubt
zwar nicht an Jesus aber wie Jesus. Diesem Versuch gegenüber ist aber
an das sichere Wissen zu erinnern, daß Jesus der Religion des
Judentums angehört. Von hier zur christlichen Kirche ist es ein weiter
Weg, umso mehr, als die Entwicklung der christlichen Heilslehre auf
Kosten Israels geschah – gegen die Intention Jesu, der eine
Kirche gar nicht gründen wollte und auch nicht gegründet hat. Man kann
Jesus daher nicht mit gutem historischen Gewissen für die christliche
Religion in Beschlag nehmen. Jesus gehört Israel an. Sollte man der
Sache Jesu trotzdem zustimmen, müßte man konsequenterweise Jude werden
und sich als Mann beschneiden lassen.
(3) Kirche, Theologie, Wissenschaft
Unter der Überschrift "Kirche, Theologie, Wissenschaft"
möchte ich abschließend einige übergreifende Gesichtspunkte
ansprechen. Zunächst beginne ich wie schon eingangs mit einem Zitat,
diesmal von Albert Schweitzer. Er schrieb im Jahre 1906 am Eingang
seines großen Werkes über die "Geschichte der
Leben-Jesu-Forschung":
"Wenn einst unsre Kultur als etwas Abgeschlossenes vor der
Zukunft liegt, steht die deutsche Theologie als ein größtes und
einzigartiges Ereignis in dem Geistesleben unserer Zeit da. Das
lebendige Nebeneinander und Ineinander von philosophischem Denken,
kritischem Empfinden, historischer Anschauung und religiösem Fühlen,
ohne welches keine tiefe Theologie möglich ist, findet sich so nur im
deutschen Gemüt."
Die großen Leistungen der deutschen Theologie sind besonders in
Berlin von Adolf Harnack und seinen Schülern vorgelegt worden und
ihnen ist es letztlich zu verdanken, daß nach dem Zusammenbruch des
Kaiserreiches Theologie ein ordentliches Unterrichtsfach an deutschen
Universitbis heute blieb. Das bedeutet: der Staat bezahlt dafür, daß
der christliche Glaube erforscht wird, und er erkennt damit
gleichzeitig die Kulturbedeutung der Kirche an. Umgekehrt geht damit
die christliche Kirche das Risiko ein, daß sie bzw. ihr Glaubensinhalt
auf den Prüfstand der Kritik gehoben wird, denn wissenschaftliches
Fragen weiß nie im voraus, was ihr Ergebnis sein wird.
Die Rolle, welche die Wissenschaften in unserer Gesellschaft
spielen, entspricht einer zunehmenden Intellektualisierung und
Rationalisierung. Sie bedeutet freilich nicht eine zunehmende
allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen wir stehen.
Angesichts der Flut von Informationen ist das auch gar nicht denkbar.
Aber Intellektualisierung und Rationalisierung, die uns zuweilen gar
nicht mehr bewußt sind - so selbstverständlich sind sie geworden - ,
bedeuten das Wissen darum oder den Glauben daran, daß man, wenn man
nur wollte, es jederzeit erfahren könnte , daß es also prinzipiell
keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da
hineinspielen. Vielmehr sind die Dinge - im Prinzip - durch Berechnen
beherrschbar. Das aber hat faktisch die Entzauberung der Welt zur
Folge. Nicht mehr wie der Wilde, für den es solche Mächte gab, muß man
zu magischen Mitteln greifen, um die Geister zu beherrschen oder zu
erbitten. Sondern technische Mittel und Berechnung sind das Gütesigel
unserer Gesellschaft und Kultur (vgl. Max Weber: Wissenschaft als
Beruf). Entsprechendes gilt für die Geisteswissenschaften, von denen
die wissenschaftliche Theologie ein Teil ist. Durch genauere
philologische Arbeit, bessere Hypothesen, archäologische Entdeckungen
und vor allem: neue Textfunde hat sich die Wissenschaft ein immer
genaueres Bild bestimmter Epochen erarbeitet, das freilich niemals
abgeschlossen ist. Wir können nicht arbeiten, ohne zu hoffen, daß
andere weiter kommen werden als wir. Prinzipiell geht dieser
Fortschritt sowohl im Bereich der Naturwissenschaft als auch im
Bereich ihrer Schwester, der Geisteswissenschaft, ins Unendliche.
In der recht verstandenen wissenschaftlichen Arbeit, so winzig
ihre Fortschritte auch sein mögen, stellt sich das öde Gefühl, nur ein
kleines Rädchen im riesigen Uhrwerk zu sein und daher sinnlose Arbeit
zu leisten, nur selten ein. Denn jedermann, der wissenschaftliches
Arbeiten kennt, weiß auch: eine wirklich endgültige und tüchtige
Leistung ist heute stets: eine spezialisierte Leistung. Und wer also
nicht die Fähigkeit besitzt, sich einmal Scheuklappen anzuziehen und
sich hineinzusteigern in die Vorstellung, daß das Schicksal seiner
Seele davon abhängt: ob er diese, gerade diese Textverbesserung an
dieser Stelle, in dieser antiken Handschrift, richtig macht, der
bleibe der Wissenschaft fern. Niemals wird er oder sie in sich das
durchmachen, was man das "Erlebnis" der Wissenschaft nennen
kann. Ohne diesen seltsamen, von jedem Außenstehenden belächelten
Rausch, diese Leidenschaft: dieses: "Jahrtausende mußten
vergehen, ehe du ins Leben tratest, und andere Jahrtausende warten
schweigend darauf, ob dir diese Textverbesserung gelingt", hat
niemand etwas von wahrer Wissenschaft verstanden. Denn nichts ist für
den Menschen als Menschen etwas wert, was er nicht mit Leidenschaft
tun kann (vgl. wiederum Max Weber). Das gilt dann ebenso von der
Theologie. Sie hat in geradezu atemberaubender Weise jeden einzelnen
Vers der Bibel, der Sammlung heiliger Schriften, seziert und durchweg
andere Auffassungen des Verlaufs der Geschichte Israels und der
Geschichte Jesu und der Apostel entwickelt als die biblischen
Verfasser selbst. Auch ihre Ergebnisse sind grundsätzlich
verbesserungsbedürftig und sie sind gleichzeitig, wie die Biographien
berühmter Theologen uns lehren können, mit Leidenschaft gewonnen
worden. Sosehr Unvollkommenheiten zurückblieben: ein Zurück zum
Verständnis der biblischen Schriften als Wort Gottes kann es nicht
mehr geben.
Theologische Wissenschaft, radikal betrieben, ist allein an der
Wahrheit ihrer gemäß den Regeln der Logik und Methodik sowie auf der
Grundlage von Sachkenntnis entwickelten Aussagen interessiert. Sie
ordnet sich dem Kanon und den Regeln der modernen europäischen
Universität ein und verzichtet auf Erkenntnisprivilegien jeglicher
Art. Theologie ist insofern eine geschichtliche Disziplin, als sie das
Christentum mit Hilfe der historisch-kritischen Methode untersucht.
Für die historische Methode sind drei Voraussetzungen grundlegend: die
Kausalität, die Berücksichtigung von Analogien und die Erkenntnis von
der Wechselbeziehung der historischen Phänomene zueinander. Ihre
Arbeitsweise folgt dem methodischen Atheismus der Neuzeit ("als
ob es Gott nicht gäbe"), der freilich von einem dogmatischen
Atheismus zu unterscheiden ist. Befreit von den übernatürlichen
Voraussetzungen und ausgerüstet mit einem Instrumentarium historischer
Kritik hat die so verstandene Theologie als wissenschaftliche
Disziplin geradezu eine kopernikanische Wende für alle Kirchen- und
Religionsgemeinschaften zur Folge. Ihr Siegeszug durch die
Universitäten in den letzten drei Jahrhunderten ist eindrücklich. Sie
hat sich in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen behauptet und
völlig neue Einsichten geliefert.
Die historische Methode ist Teil des emanzipatorischen Prozesses
wissenschaftlicher Neugierde. Sie möchte Sinngebungen nachvollziehen,
d.h. verstehen, muß sich aber, will sie denn Objektivität anstreben
und die Welt entzaubern, gerade deshalb von allen ihr begegnenden
fremden Ansprüchen emanzipieren:
vom Anspruch des kanonischen Status bzw. der Heiligkeit bestimmter
Schriften,
vom Anspruch einer Offenbarung, da Offenbarung kein
wissenschaftlicher Begriff ist,
vom Anspruch, zwischen Rechtgläubigkeit und Ketzerei in einem Sinn
zu unterscheiden, der über die Rekonstruktion und Wahrnehmung
historischer Ansprüche hinausgeht. Denn hier stehen essentiell nicht
entscheidbare dogmatisch-theologische Urteile einander gegenüber.
Die historische Methode verweigert eine Antwort auf die religiöse
Wahrheitsfrage und kann nur verschiedene Wahrheitsansprüche
miteinander vergleichen. Sie ist darin ideologiekritisch.
Und an dieser Stelle beginnt die Crux mit der heute in Deutschland
betriebenen akademischen Theologie, die – nach Konfessionen
getrennt - von ihrem eigenen Anspruch her eine Wissenschaft ist. Ihr
Wert wird allgemein danach bemessen, inwiefern sie der Kirche nutzt.
Ich würde mich demgegenüber eher für eine unkirchliche Theologie
starkmachen, deren Wert davon abhängt, ob sie die Wahrheit
voranbringt. Um diese Wahrheit ging es auch heute abend bei der
Behandlung der Fragen: Ist Jesus auferstanden und: Wollte er für die
Sünden der Welt sterben? Die Antworten darauf habe ich aufgrund von
wissenschaftlichen Quellenanalysen gegeben. Sind sie falsch und
ungenügend begründet, dann wird mich die Wissenschaft widerlegen. Sind
sie aber richtig, dann können auch Kirche und akademische Theologie
nicht daran vorbeigehen, denn die Wahrheit ist auch an diesem Punkte
unteilbar.