Gerd Lüdemann's Homepage
Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 2001
Aus: Humanes Leben - Humanes Sterben. DGHS Nr. 1, 21. Jahrgang,
März 2001, S. 3
Nirgendwo ist die Verflechtung von Kirche und Staat so eng wie in
Deutschland, meint der Göttinger Theologie-Professor und
Kirchenkritiker Gerd Lüdemann. Er will notfalls bis vor das
Bundesverfassungsgericht gehen, um seine akademischen Rechte
einzufordern, die die Göttinger Universität ihm aufgrund seiner
provokativen Thesen teilweise entzogen hat. Susanne Dehmel sprach mit
ihm über Auferstehung, Selbstverantwortung und christliche Leitkultur.
HLS: Sie haben vor einiger Zeit auch mit Ihrer öffentlichen Abkehr
vom christlichen Glauben Furore gemacht. Ist es heute ruhiger um Sie
geworden?
Prof. Lüdemann: Nach außen vielleicht, aber nicht innen. Leute,
die in den Kirchendienst eintreten wollen, dürfen bei mir nicht mehr
publizieren und promovieren ohnehin nicht mehr bei mir. Innerhalb
meiner Fakultät gibt es Kämpfe und ich habe hier nach außen hin wenig
Unterstützung erfahren. Das kann einen schon etwas verbittern.
HLS: Und Sie dürfen keine Prüfungen mehr abnehmen...
Prof. Lüdemann: Ich bin verpflichtet, an der Universität acht
Stunden Unterricht pro Woche anzubieten, aber ich darf nicht mehr
prüfen. Dagegen wehre ich mich, ich prozessiere gegen die Universität
Göttingen, gegen die Umbenennung meines Lehrstuhls, gegen den Verlust
meiner akademischen Rechte. Zurzeit läuft die Hauptklage vor dem
Verwaltungsgericht Göttingen. Falls nötig, gehe ich durch alle
Instanzen bis hin zum Bundesverwaltungsgericht.
HLS: Welche Rolle spielt die Evangelische Kirche in Niedersachsen
dabei?
Prof. Lüdemann: Offiziell wird es gegenwärtig so hingestellt, als
hätte die Kirche mit all dem gar nichts zu tun. Ganz offensichtlich
soll sie aus dem Schussfeld gehalten werden, damit nicht ein neuer
Fall Küng entsteht, aber wer hier wirklich den Ausschlag gegeben hat,
steht in meiner Personalakte.
HLS: Sie haben massive Unterstützung von amerikanischen Forschern
erhalten. Ist die enge Verflechtung von wissenschaftlicher Theologie
und Amtskirche eine deutsche Besonderheit?
Prof. Lüdemann: Ja, sie leitet sich her aus der deutschen
Geschichte. In der Weimarer Verfassung wäre die Trennung von Staat und
Kirche um ein Haar vollständig durchgeführt worden. Doch findet sich
heute eigentlich keine politische Partei, die nicht den
Schulterschluss mit der Kirche sucht. Islamische Gottesstaaten einmal
ausgenommen, gibt es nirgendwo eine so enge Verflechtung von Kirche
und Politik wie in Deutschland. Unser Staat krankt an einer nicht
geklärten Stellung von Staat und Kirche. Heißt es nicht in Artikel 33
des Grundgesetzes, niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder
Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis ein Nachteil erwachsen?
HLS: Eine Ihrer Thesen besagt, Christus sei nicht auferstanden.
Kann es einem gläubigen Christen nicht egal sein, ob aus historischer
Sicht das Grab Jesu nun voll oder leer war?
Prof. Lüdemann: Ich gehe davon aus, was Christen auf der ganzen
Welt glauben und demnach ist die leibliche Auferstehung Jesu ein
zentrales Dogma. Paulus, über dessen Rolle als Begründer des
Christentums ich gerade ein Buch verfasse, schrieb im 1. Brief an die
Korinther: "Wenn Christus nicht (leiblich) auferstanden ist, ist
euer Glaube nichtig" (Kap. 15 Vers 17).
HLS: Mal angenommen, Ihre These vom leeren Grab ist richtig.
Gefährdet sie das Christentum?
Prof. Lüdemann: Nach meiner Auffassung steht fest, dass das
dogmatisch begründete Christentum schon seit über 200 Jahren widerlegt
ist. Die Lehre von der leiblichen Auferstehung hält intellektueller
Wahrhaftigkeit nicht stand. Der christliche Glaube im traditionellen
Sinne ist schon lange überholt, trotzdem lebt er weiter. Kein Glaube
lässt sich durch rationale Argumente widerlegen, aber solch eine
Religion hat in unserer modernen säkularen Gesellschaft keinen Raum.
HLS: Hat denn Religion überhaupt noch Raum in unserer
Gesellschaft?
Prof. Lüdemann: Das ist eine wichtige Frage. Fest steht: wir haben
ein religiöses Bedürfnis, eine Sehnsucht nach dem Sinn. Auch ich
ertappe mich immer wieder dabei, religiös zu werden. Wenn wir dafür
keine Formen finden, dann sucht sich unsere Sehnsucht Ersatzwege, die
sehr gefährlich werden können, Faschismus zum Beispiel.
HLS: Auf Einladung des Bundes für Geistesfreiheit in Bayern haben
Sie eine Veranstaltung mit dem Titel "Warum die Kirche lügen
muss" angeboten. Warum muss sie das denn?
Prof. Lüdemann: Wenn die Kirchenfunktionäre vor der Fernsehkamera
erklären würden, dass die Auferstehung Jesu eine Interpretation und
kein Faktum ist, dann würden sich viele Gläubige von der Kirche
betrogen fühlen. Das würde den ganzen Machtapparat der Kirchen
durcheinanderwirbeln und hätte verheerende Konsequenzen. Deshalb hat
die Kirche ein Interesse, die Menschen im Unklaren zu lassen. Wer aber
die Wahrheit unterdrückt, der lügt.
HLS: Ist das mit Rücksicht auf die von Ihnen genannten
verheerenden Konsequenzen nicht verständlich?
Prof. Lüdemann: Ja, natürlich. Die Allgemeinheit und vor allem die
Politiker sehen den Sinn der Kirche vor allem darin, die Werte zu
erhalten und das wird in den Vordergrund gerückt: Die Kirche als Ort,
wo Gutes getan wird. Sie äußert sich zu sozialen Fragen, zu
gesellschaftlichen Werten, als Fürsprecherin der Armen usw., die
anderen Fragen nach historischer Wahrhaftigkeit interessieren da
wenig.
HLS: Kann die Kirche heute überhaupt noch gültige Antworten auf
Wertefragen auch im Hinblick auf die "Leitkultur" eines
christlichen Abendlandes geben?
Prof. Lüdemann: Wenn man die 2000-jährige Geschichte von
christlicher Kirche und Abendland kennt, muss man die Frage verneinen.
Weil die Kirche das, was sie getan hat, offiziell verstecken muss. Die
Kirche hat Juden verfolgt und Aufklärung und Wissenschaft unterdrückt.
Es gab und gibt christliche Nächstenliebe und sozial engagierte
Gruppen, die Ungeheures geleistet haben und leisten. Aber sie haben
keine politische Bedeutung, maßgeblich sind letzten Endes immer die
Kirchenleitungen.
HLS: Wer sollte stattdessen Orientierung geben?
Prof. Lüdemann: Der Staat kann und muss sich selbst die Werte
geben. Wir neigen immer dazu, uns an anderen zu orientieren, um selbst
nicht entscheiden zu müssen. Wenn der Mensch überleben will, muss er
mehr Selbstverantwortung übernehmen, das hat auch etwas mit Mündigkeit
zu tun. Wir sind verpflichtet, unser Schicksal selbst in die Hand zu
nehmen ohne einen himmlischen Pseudovater oder eine himmlische
Pseudomutter zu suchen, die uns das abnehmen.
HLS: Mehr Selbstverantwortung, gilt das auch für die Verfügung
über das eigene Leben?
Prof. Lüdemann: Unbedingt. Wenn gesichert ist, dass nicht andere
geschädigt werden, hat meiner Auffassung nach jeder das Recht, über
sein Ende selbst zu bestimmen, auch durch Freitod.
HLS: Wird Suizid im Neuen Testament verboten?
Prof. Lüdemann: Nein, direkt nicht. Dieses Thema wird gar nicht
angesprochen, aber das liegt daran, dass die Ablehnung der
Selbsttötung, wie übrigens auch der Homosexualität, so
selbstverständlich war. Meiner Meinung nach folgte aus dem fünften
Gebot im Alten Testament unausgesprochen das Suizidverbot, abgeleitet
vom Grundsatz: Gott habe das Leben gegeben, nur er dürfe es wieder
nehmen.
HLS: Umfragen im Auftrag der DGHS haben aber ergeben, dass die
Mehrheit der evangelischen und katholischen Christen das ganz anders
sieht.
Prof. Lüdemann: Der Begriff "Gott" sollte in diesen
Diskussionen keine Rolle spielen, weil wir doch alle so leben, als ob
es Gott gar nicht gäbe. Es herrscht das Prinzip des säkularen Lebens
und wenn in der EU-Grundrechtecharta auf eine religiöse Präambel
verzichtet wurde, kann ich das nur begrüßen. Die Formulierung "In
Verantwortung vor Gott und den Menschen" beinhaltet, dass hier
wieder eine Autorität eingeführt und ein selbstverantwortliches
Nachdenken damit verhindert wird. Ich sage nicht, dass es Gott nicht
gibt, aber wir müssen unser Leben zumindest im öffentlichen Bereich so
führen, als gäbe es ihn nicht. Das ist meines Erachtens der einzige
Weg zu einem Frieden zwischen den Religionen, alles andere führt zu
Gewalt.
HLS: Beten Sie manchmal?
Prof. Lüdemann: Ich spreche manchmal Gebete, Texte, die ich früher
gelernt habe. Das gibt mir eine gewisse Geborgenheit.
Herr Professor Lüdemann, wir danken für das Gespräch.
Das Interview führte Susanne Dehmel.