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Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 2000
zu dessen "Rezension": Noch ein "Leben Jesu" im Sonderangebot. Lüdemanns obskure Akten
(Lutherische Monatshefte 02/2000)
Sehr geehrter Herr Isermann,
im letzten Heft dieser Zeitschrift haben Sie sich ausführlich mit
meinem Jesusbuch beschäftigt. Als Fazit empfehlen Sie den Lesern, die
Genaueres über die Auslegung des Neuen Testaments erfahren wollen,
sich"an die bewährten Autoren" zu halten, und verbinden dies
mit abwertenden Urteilen über die wissenschaftliche Qualität des
Werkes und seinen Verfasser.
Nun sind urbane Umgangsformen nicht jedermanns Sache. Vulgärer Ton
und klare Ignoranz fallen am Ende oft auf einen Rezensenten zurück. Da
mir jedoch an der Sache liegt, will ich Ihnen antworten. (Ich übergehe
dabei bewußt Ihre tiefenpsychologische Ferndiagnose meiner Person als
eines Jesushassers sowie Ihre unzutreffenden Ausführungen zu der
Wandlung meines Marienbildes von dem Vergewaltigungsopfer zur Hure.)
Zunächst möchte ich Sie direkt fragen: Warum informieren Sie
bereits im Titel die Leser falsch, daß ich ein Leben Jesu verfaßt
hätte? Immerhin bestehen 860 von 890 Seiten dieses Buches aus
Textanalysen, und im Vorwort heißt es ausdrücklich: "Dies ist
kein Leben Jesu, sondern nur eine Analyse der wichtigsten Worte und
Taten Jesu als Voraussetzung eines noch nicht möglichen Lebens
Jesu" (S. 8). Den sich daran anschließenden Hinweis auf den
Versuch eines "Leben(s) Jesu in Kurzfassung" (S. 877-888),
dessen Lektüre ich als Einstieg empfahl, mißverstehen Sie so, als ob
diese 10 Seiten den Ertrag des Gesamtwerkes enthielten. Daher geht der
erste Teil Ihrer Rezension notwendig ins Leere. In ihm machen Sie sich
das Votum Albert Schweitzers zueigen, daß jede Generation ihre eigene
Wunschvorstellung in Jesus hineingelesen habe, und wenden es
triumphierend gegen mich: "Und nun also hat sich schließlich der
Nichtchrist Lüdemann mit einem nichtchristlichen Jesusbild in den
Markt der Möglichkeiten eingebracht." Diese Bemerkung bezieht
sich auf mein abschließendes Urteil, der historische Jesus könne
"keine Antwort auf die uns bedrängenden Fragen" geben (S.
886). Ich frage Sie: Beruht dieses Urteil etwa auf einem
nichtchristlichen Jesusbild? Kann es überhaupt ein christliches Bild
von Jesus geben, da dieser doch Jude und nicht Christ war? Wie Sie
wissen, ist in den letzten Jahrzehnten heiß darüber diskutiert worden,
welche Bedeutung Jesus - der historische Jesus - für den christlichen
Glauben haben kann; erst jüngst hat der bedeutende, der Kirchenleitung
genehme Neutestamentler Andreas Lindemann in einem
"Spiegel"-Gespräch zum Ausdruck gebracht: Jesus sei für den
christlichen Glauben eher hinderlich. Wie es darum auch stehen mag,
ich will Ihnen zunächst nur zu bedenken geben, ob sich nicht,
wenigstens auf der Ebene der Geschichte, mein oben zitiertes Votum zur
Relevanz des historischen Jesus durchaus im Rahmen der
wissenschaftlichen theologischen Diskussion befindet. Gleichzeitig
empfinde ich es als unseriös, mein Jesusbild in Parallele zu stellen
mit verschiedenen Bildern vom vegetarischen, pazifistischen,
revolutionären Jesus oder dergleichen.
Ihr zuletzt beschriebenes Vorgehen hängt damit zusammen, daß Sie
das Ziel meines Buches, eine historische Bilanz nach 250 Jahren
Jesusforschung zu ziehen, einfach nicht referieren. Das Erreichen
eines solchen Zieles war aber nicht möglich durch Informationen aus
zweiter Hand über die verläßliche Auslegung des Neuen Testaments, wie
Sie es sich offenbar gewünscht hätten, sondern nur durch genaue
Untersuchungen der frühchristlichen Texte selbst. Hier verstehe ich
Ihren eingangs wiedergegebenen Ratschlag nicht, sich an bewährte
Autoren zu halten. Sollten Sie Bultmann aus älterer oder Theißen aus
jüngerer Zeit meinen, so wäre demgegenüber hinsichtlich der
Einzelanalysen auf eine große Übereinstimmung zwischen diesen beiden
und mir hinzuweisen. Ich stehe mit ihnen und zahlreichen hier
ungenannten Kollegen auf den Schultern -und nicht auf den Gräbern-
unserer großen liberalen Vorbilder des 19. und frühen 20.
Jahrhunderts, von denen die meisten einmal an der Universität
Göttingen lehrten. Mit ihnen bin ich dem Ethos der Wahrhaftigkeit
verpflichtet und strebe Objektivität an. Nur dies sichert der
Theologie ein bleibendes Recht an der Universität. Es versteht sich
dabei von selbst, daß Voraussetzung zur Teilnahme an der Forschung
nicht ein bestimmter Glaube oder gar die Zugehörigkeit zu einer
bestimmten christlichen Konfession sein kann, sondern ausschließlich
die Sachkompetenz. Diese erlangen bis heute zukünftige Pastoren und
Pastorinnen an der Theologischen Fakultät, damit sie später die hier
erworbene Bildung weitergeben können.
Eine solche Bildung, Herr Pastor Isermann, vermisse ich bei Ihnen.
Diese schockierende Folgerung ergibt sich aus drei Belegen:
a) Sie sprechen salopp von einer Marienverehrung in den
sogenannten Kindheitsgeschichten bei Matthäus und Lukas. Womöglich
haben Sie Mt 1-2 nie sorgfältig gelesen, sonst hätten Sie niemals von
einer dort enthaltenen Marienverehrung reden können. Diese Vermutung
erhärtet sich weiter daraus, daß Sie mir unterstellen, ich hätte die
These einer Vergewaltigung der Maria allein aus der Bezeichnung Jesu
als ihres Sohnes in Mk 6,3 erschlossen. Vielmehr ist Mt 1 ein starkes,
auch von mir herangezogenes Indiz in dieser Richtung. Aber den Inhalt
dieses Kapitels lesen Sie ja von der Marienverehrung in Lk 1-2 her, so
daß ich auch an dieser Stelle ein korrektes Referat nicht erwarten
konnte.
b) Zur Taufperikope bei Mk 1,9-11 schreiben Sie: "Indem sich
Jesus taufen läßt und nach dem Markusevangelium dabei zum Sohn Gottes
erklärt wird, bringt er Gottes Nähe und die Vergebung der Sünde zu den
Menschen." Im Proseminar bemühen wir uns, solche exegetischen
Dummheiten auszuräumen. Ein Blick in die Konkordanz ist hilfreich und
zeigt, daß "Vergebung der Sünden" bei Markus kein zentrales
Thema ist und nur einmal (Mk 1,4) als Überlieferungsstück vorkommt,
während Jesus als Vergeber von Sünden lediglich in Mk 2,1-12
erscheint.
c) Zu Mt 16,18-19 hatte ich geschrieben: "Jesus kann diese
Worte nicht gesprochen haben, da er keine Kirche gegründet hat"
(S. 256). Sie nennen das eine Erschleichung eines Beweises, da der
Satz, Jesus habe keine Kirche gebaut, erst begründet werden müsse.
Wirklich? Ich hatte immer gedacht, diese Einsicht sei Bestandteil der
akademischen Bildung eines Theologen. Schon vor rund einem Jahrhundert
hat A. Loisy in Anlehnung an A. Harnack schlüssig formuliert:
"Jesus hatte das Reich Gottes angekündigt, gekommen ist die
Kirche". Dieser Satz, der auch in meinem Buch durch zahlreiche
Textbeispiele (vgl. das Register aller echten Worte und Taten Jesu am
Schluß S. 888-889) begründet wird, dürfte nach wie vor das
Grundproblem und die Herausforderung einer jeden Theologie, die
ehrlich sein will, benennen.
Sie haben mich, geehrter Herr Isermann, durch Falschinformationen,
Unterstellungen und haltlose Bibelauslegungen in einer kirchlichen
Zeitschrift persönlich und sachlich angegriffen. Ich habe dazu fair
Stellung genommen und verbinde diesen Antwortbrief mit der
Herausforderung zu einer öffentlichen Disputation - im Geiste der
Wahrhaftigkeit und im Interesse der Sache.
Mit freundlichen Grüßen
Gerd Lüdemann.