Gerd Lüdemann's Homepage
Bibliographie aller wissenschaftlichen Veröffentlichungen
Für die Freiheit der theologischen Wissenschaft
(134 Seiten)
zu Klampen - Verlag
Lüneburg 1998
ISBN 3-924245-76-2
Hardcover mit Schutzumschlag: Euro 5,90
Inhalt
Vorwort
I. Theologie als Wissenschaft?
II. Das Wissenschaftsverständnis der Religionsgeschichtlichen
Schule
III. Theologie in Göttingen
Nachwort
Die theologischen Fakultäten sind ein Kuriosum, das aus der
mittelalterlichen Universität zurückgeblieben ist. Ihre Existenz
gründet auf Verträgen zwischen Staat und Kirche. Was soll aber in
Zukunft geschehen, wenn sie sich gegen die Forderung uneingeschränkter
Wissenschaftlichkeit streng an das Bekenntnis der Kirche binden, deren
ideologische Grundlage längst brüchig geworden ist? Hier ist Abhilfe
vonnöten: Die herkömmlichen theologischen Fakultäten sind aufzulösen
und durch einen Fachbereich zu ersetzen, an dem die christlichen
Konfessionen und andere Religionen unabhängig von jeglicher
Bevormundung erforscht werden.
"Im Würgegriff der Kirche nimmt die enge Verflechtung von
Kirche und Theologie im akademischen Bereich unter die Lupe. Es
benennt das öffentliche Ärgernis, daß Theologie als wissenschaftliche,
vom Staat bezahlte Disziplin nach Konfessionen getrennt betrieben
wird. Hier liegt ein Grundübel der Theologie, denn, so organisiert,
kann sie gar keine Wissenschaft sein. Dieses Grundübel ist aber auch
eines der Kirchen in unserer Gesellschaft, denn diese greifen seit
langem massiv in die theologischen Fakultäten ein und sind durch das
Gesetz auch noch dazu befugt. Damit ist sozusagen juristisch
festgeschrieben, daß Theologie gar keine Wissenschaft sein soll. Wenn
es mir an diesem zentralen Punkt gelingt, vernünftige Politiker und
das gebildete Publikum aufzurütteln, dann ist der Hauptzweck dieser
Schrift erreicht, und notwendige Reformen werden sich wie von selbst
ergeben."
Gerd Lüdemann
Werner Raupp: Gerd Lüdemann, Im Würgegriff der Kirche.
Für die Freiheit der theologischen Wissenschaft, Dietrich zu
Klampen Verlag, Lüneburg 1998. 134 S. Euro 5,90 ISBN 3-924245-76-2.
Über die Theologenschaft hinaus ist der umstrittene Göttinger
Neutestamentler Gerd Lüdemann kein Unbekannter mehr. 1994 hatte er mit
einer profunden Studie über die "Auferstehung Jesu"
Schlagzeilen gemacht, in der er die von nicht wenigen seiner
Fachkollegen stillschweigend geteilte Überzeugung aussprach, daß Jesus
im Grab verwest sei. Weitere kleinere Monographien folgten, in denen
er sich immer weiter von der kirchlichen Lehrtradition absetzte und
sich schließlich vom Christentum lossagte. Die Amtskirche reagierte
harsch und suchte ihn - allerdings vergebens - aus der Fakultät zu
entfernen; allein die kirchliche Prüfungserlaubnis konnte sie dem in
staatlichen Diensten stehenden Theologen entziehen. Dieser hat nunmehr
ein neues Buch vorgelegt, das gleichsam ein Kommentar zu dieser
Kontroverse ist: ein Manifest für die Freiheit der theologischen
Arbeit, die sich "im Würgegriff der Kirche" befindet.
Bereits auf den ersten Seiten wartet es mit einer freilich nicht
neuen, aber immer noch außerordentlichen Forderung auf: die an
kirchliche Bekenntnisse gebundene und damit wissenschaftlichen
Anforderungen nicht genügende Theologie in die Unabhängigkeit zu
entlassen! Theologische Arbeit dürfe nicht eine "Sache des
Gehorsams sein" (wie dies etwa Joachim Jeremias meinte, S.23);
auch dürfe der Theologe nicht weiterhin ein von ihm nicht mehr
geglaubtes Dogma "durch Schweigen respektieren" (wie dies
Karl Barth verlangte, S.20), was zur Heuchelei verleite. Vielmehr sei
es das Gebot der Stunde, "eine neue theologische oder
religionswissenschaftliche Fakultät" einzurichten, die das
Christentum in allen seinen Schattierungen wie auch alle anderen
Religionen ohne Bevormundung erforsche (S. 54f.). Auf die bereits
bestehenden religionswissenschaftlichen Lehrstühle kommt er dabei
allerdings nicht zu sprechen (Kap. 1).
Als Grundlage einer derartigen mündigen Theologie dient ihm die
ganz im Zeichen der historischen Kritik stehende Arbeitsweise der
Religionsgeschichtlichen Schule des späten 19. Jahrhunderts. Von der
dialektischen Theologie und ihrem neuorthodoxen Programm einer
"kirchlichen Theologie" zu Beginn des 20. Jahrhunderts
zurückgedrängt, müsse man nunmehr mit aller Konsequenz an deren
Traditionen wieder anknüpfen (Kap. 2).
Im Schlußteil bietet Lüdemann einen bewegenden persönlichen
Rückblick über seine akademische Laufbahn, die mit dem Aufbau der
Abteilung "Frühchristliche Studien" und der Gründung des
Archivs "Religionsgeschichtliche Schule" (1987)
verheißungsvoll begann (S.77). Er mündet ein in die Sorge um die
"zunehmende Klerikalisierung" unter der Göttinger
Theologenschaft. Jene erreichte 1995 mit der Erneuerung einer
Gelöbnisformel von 1848 (!) ihren zweifelhaften Höhepunkt, wonach die
"theologischen Wissenschaften in Übereinstimmung mit den
Grundsätzen der evangelisch-lutherischen Kirche aufrichtig"
(S.86) zu betreiben seien (Kap.3).
Nicht zuletzt unter dem Eindruck einer derartigen restaurativen
Entwicklung stehend, befaßt sich Lüdemann in dieser lebendig und
anschaulich geschriebenen Streitschrift mit der Zukunft der
Universitätstheologie und stellt deren Anspruch auf
Wissenschaftlichkeit zu Recht in Frage. Unter Heranziehung frappanter
Beispiele greift er dazu ein grundsätzliches Problem der kirchlich
gebundenen Theologie auf: daß dogmatische Abhängigkeit und
wissenschaftliche Unabhängigkeit in Konflikt geraten können; daß
evangelische wie katholische Theologie diesen Konflikt oft umgeht,
indem sie wissenschaftliche und geistliche Ebenen verquickt, und so
doch letztlich immer nur von der Kirche bestellte Resultate erzielt.
Wie aber kann Theologie unter derartigen Prämissen genuine
Wissenschaft sein?
Damit stellt Lüdemann aufs neue die Frage nach der Wahrhaftigkeit
der Theologie und zugleich nach der Wahrheit, die doch dank der seit
dem Mittelalter an den Universitäten bestehenden Ehe von Staat und
Kirche ein für allemal beantwortet schien. Er spricht damit
zweifelsohne etlichen Theologen aus dem Herzen, die den Brückenschlag
zwischen wissenschaftlicher Redlichkeit und kirchlichem Dogma nicht
mehr bewältigen und aus Angst vor der Kirche ihre
"ketzerischen" Ergebnisse für sich behalten.
Zudem faßt Lüdemann eine zeitgeschichtliche Entwicklung ins Auge,
wenn er mit seinen Forderungen eine gesellschaftspolitische und
staatsrechtliche Fragestellung aufgreift, die neuerdings in der
bildungspolitischen Diskussion vermehrt auftaucht: ob denn nicht der
Staat, um seiner kulturellen Aufgabe nachzukommen, auch für die
Angehörigen anderer Religionen, besonders für die vielen Muslime in
Deutschland, theologische Fakultäten und einen eigenen
Religionsunterricht einrichten müsse. In einer Zeit, in der die
christliche Religion ihr Monopol mehr und mehr einbüßt und die
religiöse Landschaft immer vielgestaltiger wird, kommt man früher oder
später um die Bejahung dieser Frage nicht mehr umhin. Andere Länder
gehen mit gutem Beispiel voran.
Es bleibt zu wünschen, daß Lüdemanns Vorstoß - so radikal seine
Forderungen auf den ersten Blick erscheinen mögen - für die Kirchen
ein Anstoß zu einer neuen Orientierung sei. Ihre Aufgabe kann es nicht
länger sein, eine mit einem absoluten Wahrheitsanspruch versehene
Politik zu betreiben; statt dessen sollte sie endlich die Theologie
aus dem Prokrustesbett der Dogmen befreien und sich, nicht zuletzt um
ihrer eigenen Glaubwürdigkeit willen, inmitten der problembeladenen
Gesellschaft vermehrt der gelebten Spiritualität widmen. Diese möge
besonders von schöpfungstheologischen respektive ökologisch-ethischen
Prämissen geprägt sein und sich zudem anderen Religionen öffnen.
Lüdemann indes ist zu wünschen, daß er seiner Streitschrift eine
Programmschrift folgen lasse. Sie möge die aufgezeigte Freiheit der
theologischen Wissenschaft behutsam präzisieren und ihr einen neuen
Weg ins neue Jahrhundert weisen.
Werner Raupp
Quelle: Theologische Zeitschrift. Basel, 56 (2000), S.89-90;
dass. (gekürzt) voraussichtl. in: Freies Christentum, 2001