Henker im Gefängnis der Triebe
von Christina Rademacher, Göttinger Tageblatt, Juli 1997
Seine Hände umkrampfen sich, als ob sie einander festhielten. Es sind die Hände eines Mörders, zur Untätigkeit gezwungen. Jürgen Bartsch hat kaum Vorstellbares mit ihnen angerichtet - kaum vorstellbar jedenfalls für das Publikum im Hörsaal der Alten Pathologie in der Goßlerstraße. Götz Lautenbach blickt als Jürgen Bartsch auf Hände, die den zehnjährigen Axel geschlagen haben, bis sie unerträglich schmerzten. Die dem elfjährigen Manfred einen Hammer auf den Kopf schlugen, bis das Kind tot war. Die das Metzgermesser führten, das die Opfer zerstückelten, vier insgesamt, Jungen zwischen acht und dreizehn Jahren.
Waren seine Hände noch seine Hände, wenn der abnorme Trieb in Jürgen Bartsch übermächtig wurde? Mit anderen Worten: Trug der Mörder die Verantwortung für sein Tun? Ende der Sechziger spaltete diese Frage die Bundesrepublik. Bartsch, der mit 15 Jahren selbst fast noch ein Kind war, als er den ersten Jungen tötete, wurden zwei Prozesse gemacht. Zunächst bezeichnete das Gericht den Mörder als voll verantwortlich und verurteilte ihn zu mehrfach lebenslänglicher Freiheitsstrafe. Im zweiten Prozeß wurde Bartsch der Status eines Kranken zugebilligt - das Urteil lautete auf zehn Jahre Jugendstrafe und Einweisung in eine Heilanstalt.
Aus der Haft heraus schrieb Bartsch Briefe an den amerikanischen Journalisten Paul Moor. Auszüge daraus hat Oliver Reese zu der Selbstdarstellung eines Menschen kombiniert, der distanziert auf eine lieblose, von Zwängen geprägte Kindheit zurückblickt, sich als gespaltenes Wesen erfährt, in der Rückschau vieles erkennt - und doch weiß, daß es für ihn im Leben keine Erlösung mehr geben wird.
Für das Projekt "Gewalt im Spiel", das das Theater im OP veranstaltet, hat Thomas Müller die Selbstdarstellung unter dem Titel "Bartsch - Kindermörder" als betont schlichten und unspektakulären Schauspielermonolog inszeniert. Als Bühnenbild und Ausstattung reichen ein Stuhl und eine Decke, die Ausdrucksmittel sind fast gänzlich auf Sprache und Mimik konzentriert. Götz Lautenbach ist ein nahezu unschuldig wirkender Jürgen Bartsch, der selbst am meisten verwundert und erschreckt scheint über das, was er angerichtet hat. Die Seite der Opfer wird nicht völlig ausgespart: Man nimmt Lautenbach ab, daß Bartsch Mitleid mit den Getöteten empfand - nachdem er seinen abnormen Trieb befriedigt hat. Mit Bartsch teilt der Zuschauer am Ende das Wissen ums Nicht-Wissen: Wie andere Menschen vor "Bartsch - Kindermörder" geschützt weden können, muß unbeantwortet bleiben.
Lust am Bösen
von Katharina Katz, Hessisch-Niedersächsische Allgemeine
"Bartsch, Kindermörder" heißt ein Einpersonenstück von Oliver Reese, mit dem der Erfurter Schauspieler Götz Lautenbach im Göttinger Studententheater im OP gastiert.
Menschenfresser, Lustmörder, Bestien in Menschengestalt üben seit je her eine magische Faszination aus. Früher gab es für die Befriedigung dieser Lust öffentliche Hinrichtungen und Kuriositätenkabinette. Heute haben wir Horrorfilme, Talkshows und Nachrichtensendungen. Ob wir wollen oder nicht, wir können uns der Faszination alles Abnormen nicht entziehen. In Göttingen bietet sich jetzt Gelegenheit, den Kindermörder Jürgen Bartsch "persönlich" kennenzulernen. Freimütig erzählt er, wie er als Jugendlicher vier Jungen gequält, ermordet und grausam zerstückelt hat.
Unvorstellbar, wie dieser zarte, sympathische junge Mann dazu fähig sein soll. "Bartsch, Kindermörder" heißt das Einpersonenstück von Oliver Reese, das Thomas Müller vom Göttinger Studenten-"Theater im OP" zusammen mit dem Schauspieler Götz Lautenbach (Staatstheater Erfurt) in Szene gesetzt hat.
Der Monolog nach Briefen und Selbstaussagen des Mörders Jürgen Bartsch konfrontiert jeden Zuschauer unangenehm mit sich selbst: Was empfinde ich gegenüber einem Mörder? Wie stehe ich zur Todesstrafe? Wenn jemand meinen Kindern etwas antut? Wenn meine Kinder jemandem etwas antun?
Götz Lautenbach nähert sich der "Bestie" Bartsch ganz diskret. Minimal agierend, offenbart er die Taten Bartschs, seine Kindheit, seinen psychosozialen Hintergrund fast ausschließlich durch die sonore Stimme des Schauspielers.
Im Pathologie-Hörsaal
Die Hände ruhig im Schoß gefaltet. Ein Stuhl und eine graue Wolldecke (mit Innenleben) sind die Requisiten. Im Hörsaal der alten Pathologie lauscht man angewidert, erschreckt, aber erstaunlicherweise doch auch mal amüsiert den wohlformulierten Selbstanalysen eines Kindermörders. Er hat alles schon 1000 mal erzählt vor Ärzten, Richtern, Polizisten, Journalisten. Das Furchtbarste aber ist: Bartsch weiß genau über sich Bescheid, er weiß, wieso er mordet und er weiß vor allem, daß er es wieder tun wird, Therapie hin, Gefängnisstrafe her. Die intensive Vorstellung von Götz Lautenbach regt an, sich jenseits der fast täglichen Sensationsmeldungen von Gewalttaten an Kindern mit dieser Thematik auseinanderzusetzen.
zurück zu den Stückinfos
|