Kapitel 5
Gebärdensprache
Aufgabe 1
(1) DGS ist die Abkürzung für Deutsche Gebärdensprache.
(2) LBG ist die Abkürzung für Lautbegleitende(s) Gebärden.
(3) Das Fingeralphabet wird zur Wiedergabe von Abkürzungen und nicht bekannten Fremdwörter, Fachbegriffe und Eigennamen verwendet, wenn es dafür keine Gebärde gibt oder die Gebärde nicht allgemein bekannt ist.
(4) Für Orte, Personen und bekannte Persönlichkeiten gibt es eigene Namensgebärden. Namen nicht bekannter Orte und Personen werden gefingert.
(5) Die Hände und Arme, der Oberkörper, der Kopf, das Gesicht, der Mund, die Augenbrauen und die Augen drücken in Gebärdensprachen wichtige grammatische Aspekte aus.
(6) Der Raum vor dem Körper wird genutzt, um räumliche Relationen und Entfernungen darzustellen, Zeitangaben auszudrücken, Pronomen zu verankern oder Subjekt und Objekt am Verb zu markieren.
(7) Bei einem Gebärdengespräch sieht man in die Augen des Adressaten.
(8) Seit 2002 ist DGS in Deutschland eine offiziell anerkannte Sprache.
(9) Gehörlose Menschen kommunizieren mit Bild- oder Schreibtelefonen, dem Handy (SMS), per Fax oder über das Internet (Mail, Chat, Webcam), wenn sie sich nicht persönlich treffen.
(10) 10% oder weniger aller gehörlosen Kinder haben auch gehörlose Eltern.
Aufgabe 2
(10): Hier handelt es sich um ein Übereinstimmungsverb, das zudem das Objekt klassifiziert. Die Gebärde beginnt beim Subjekt (Index 3a) und endet beim Objekt (Index 1). Die klassifizierende Handform steht für runde Objekte. Zudem wird die Gebärde langsamer als normal ausgeführt und von zwei nichtmanuellen Komponenten mit Satzskopus begleitet: dem Kopfschütteln der nichtmanuellen Negation und einem konzentrierten Gesichtsausdruck, der eine adverbiale Modifikation der Handlung bewirkt.
(12a): In diesem Beispiel werden Subjekt und Objekt mithilfe der Indexgebärde IX im Gebärdenraum pronominal verankert. Das Verb MÖG kann diese lokalen Indizes nicht aufnehmen (MÖG ist ein so genanntes einfaches Verb). Dafür wird nach dem Verb MÖG satzfinal die Übereinstimmungsgebärde PAM (Person Agreement Marker) gebärdet, und zwar von der Position des Subjekts (= MUTTER) zur Position des Objekts (= NACHBAR).
(12b): In diesem Beispiel werden zwei Orte mithilfe der Indexgebärde IX im Gebärdenraum pronominal verankert. Die Ausführung des Raumverbs BEWEG beginnt an der Position des ersten Orts (= SCHULE, hier der Ausgangsort der Bewegung) und endet an der Position des zweiten Orts (= Kino, hier das Ziel der Bewegung). Zudem wird die Gebärde KIND (das Subjekt) redupliziert, was in diesem Fall Plural ausdrückt (= Kinder).
(15a): Das Beispiel zeigt die für DGS typische Wortstellung Subjekt, indirektes Objekt, direktes Objekt und Prädikat. Zusätzlich zur Indexgebärde IX haben wir in diesem Beispiel das Possessivpronomen POSS, das in beiden Nominalphrasen mit dem Signer übereinstimmt (Index 1). Zudem enthält der Satz dasselbe klassifizierende Übereinstimmungsverb wie in Beispiel (10). In diesem Fall wird jedoch ein langer dünner Gegenstand klassifiziert (das Objekt BLUME).
(15b): Das erste Person Subjekt wird durch die Indexgebärde IX1 realisiert. Bei der Gebärde für Gebärdensprachkurs handelt es sich um ein Kompositum. Zudem zeigt der Satz, dass temporale Informationen in DGS normalerweise am Satzanfang realisiert werden.
(15d): Das besonder an diesem Satz ist die Topikalisierung des direkten Objekts, die in DGS mithilfe der nichtmanuellen Markierung 'top' (Anheben der Augenbrauen und leichtes Neigen des Kopfes nach hinten, während die topikalisierte Konstituente gebärdet wird) realisiert wird.
(18): In (18a) hat die nichtmanuelle Markierung für die Negation Skopus über das satzfinale Verb und optional auch über das direkte Objekt. Zudem enthält der Satz die optionale manuelle Gebärde NICHT, die ebenfalls von der nichtmanuelle Negationsmarkierung begleitet wird. In (18b) hat die nichtmanuelle Negationsmarkierung nur Skopus über die manuelle Negationsgebärde NICHT, weshalb der Satz ungrammatisch ist.
Aufgabe 3
a. MANN: Einhandgebärde; Ausführungsstelle: Stirn; Handstellung: Handfläche nach unten, Zeigefinger zeigen zur Stirn; Handform: geöffnete flache O-Hand; Handkonfigurationswechsel: Hand schließt sich während der Seitwärtsbewegung zu flacher O-Hand; Bewegung: leichte Seitwärtsbewegung weg von der Stirn.
BUCH: Zweihandgebärde; zweite Hand: Koartikulator; Ausführungsstelle: in der Mitte des neutralen Gebärdenraums; Handstellung: Handfläche zur Mitte des Gebärdenraums, Zeigefinger zum Adressaten; Handform: flache Hand (B-Hand mit angelegtem Daumen); Bewegung: beide Hände bewegen sich um 90 Grad nach außen, so dass die Handfläche nach oben zeigt.
VIEL: Einhandgebärde; Ausführungsstelle: unter dem Kinn; Handstellung: Handfläche nach unten, Zeigefinger zeigen zur Seite; Handform: 5-Hand; sekundäre Bewegung: Wackeln der Finger während der Seitwärtsbewegung; Bewegung: leichte Seitwärtsbewegung unter dem Kinn in Richtung der Seite der dominanten Hand.
b. Beispiele für Einhandgebärden: WISS, ÜBERLEG, FRAU, JUNG, ALT, PAUSE, WARUM, WOCHE, MONAT, MORGEN, ...
Beispiele für Zweihandgebärden - Koartikulator: HAUS, FAHRRAD, AUTO, ERZIEH, ANTRAG, ...
Beispiele für Zweihandgebärden - Artikulationsstelle: ARZT, TERMIN, AMT, CHEF, ENTSCHULDIG, ...
Aufgabe 4
1. Die im Lexikoneintrag unter 'Phonologie' spezifizierte Handform der Gebärde muss mit dem direkte Objekt (DO) in der Subkategorisierungsliste koindiziert werden (der entsprechende Eintrag für die Handform fehlt in (11a)). Die Handform des Verbs richtet sich nach bestimmten semantischen Merkmalen des direkten Objekts, z.B. Formmerkmale wie lang, dünn, rund, groß, ..., oder Funktionklassen wie Auto, Fahrrad, Motorrad, ...
2. Das Deutsche verfügt über eine reichhaltige Wortbildung (vor allem im Bereich der Komposition und Derivation) und ein einigermaßen reichhaltiges Flexionssystem. DGS hat im Gegensatz zum Deutschen fast keine Derivationsaffixe, verwendet dafür aber mehr Konversionen. Zudem verfügt DGS über ein sehr reichhaltiges Flexionssystem.
Eine zentrale Flexionsoperation in DGS ist die Reduplikation, die im Deutschen nicht verwendet wird. In DGS wird Reduplikation im nominalen und verbalen Bereich verwendet.
Im Bereich der verbalen Flexion gibt es folgende Unterschiede zwischen Deutsch und DGS: (i) im Deutschen gibt es nur Subjektkongruenz, in DGS Subjekt- und Objektkongruenz; (ii) im Deutschen werden alle Verben flektiert, in DGS nur die Kongruenzverben; (iii) die Kongruenz ist in DGS stark phonologisch beschränkt; (iv) DGS hat Raumverben; (v) DGS hat Klassifikatoren, Deutsch nicht (dafür drei Nominalklassen, d.h. Genus); (vi) im Deutschen werden Verben auch nach Kongruenz, Tempus, Modus und Genus Verbi flektiert, in DGS nach Kongruenz und Aspekt.
Im Bereich der nominalen Flexion bestehen folgende Unterschiede: im Gegensatz zum Deutschen hat DGS (i) keine Kasusmorphologie und (ii) keine Kongruenz in der Nominalphrase; (iii) zudem ist die Flexion auch hier wieder stark phonologisch beschränkt. Neben manuellen morphologischen Operationen verfügt DGS auch über simultane nichtmanuelle morphologische Operationen wie z.B. die nichtmanuelle Negation und die adjektivischen Modifikatoren.
Aufgabe 5
1. Relativsätze: Relativsätze sind in beiden Sprachen relativ ähnlich: sie werden von einem Relativpronomen eingeleitet und das Verb steht am Satzende (wobei dies in DGS die normale Verbposition in Haupt- und Nebensätzen ist, im Deutschen dagegen die typische Verbposition in Nebensätzen). In DGS gibt es zwei Relativpronomen, je nachdem ob der Referent des Bezugsworts belebt oder unbelebt ist. Im Deutschen kongruiert das Relativpronomen in Numerus und Genus mit dem Bezugswort und es erhält Kasus vom eingebetteten Verb. Ein weiterer Unterschied ist, dass Relativsätze in DGS nichtmanuell markiert werden.
Fragesätze: Entscheidungsfragen werden in DGS nur mithilfe von nichtmanuellen Mitteln markiert. Im Gegensatz zum Deutschen gibt es keine Veränderungen in der Wortstellung (Deutsch: V1 vs. V2). Ergänzungsfragen werden in DGS ebenfalls nichtmanuell markiert. Ähnlich wie im Deutschen wird hier aber zudem das Fragewort an eine satzperiphere Position bewegt (in DGS entweder an den Satzanfang oder an das Satzende - wobei Duplizierung auch möglich ist - im Deutschen immer an den Satzanfang vor das finite Verb).
2. Der Satz kann entweder mit direkter Rede übersetzt werden:
"Lena sagte zu Hans: "Ich habe dich gestern gesehen."
oder mit indirekter Rede:
Lena sagte zu Hans dass sie ihn gestern gesehen habe.