Der Begründer der zoologischen Nomenklatur, Carl von Linné
(lateinisiert Carolus Linnaeus), hat uns gleichzeitig auch ein
nomenklatorisches Problem hinterlassen: bei einem großen Teil
der Schmetterlinge in seiner Gattung Phalaena verwendete er
bei den Artepitheta formelhafte Endungen, wodurch sich die
Artepitheta nicht eindeutig als Adjektive oder Substantive
erklären lassen und deshalb Probleme bereiten, wenn diese
Artepitheta heute mit anderen Gattungsnamen kombiniert werden,
die kein weibliches grammatikalisches Geschlecht besitzen.
Die Gattung Phalaena unterteilt Linnaeus (1758) in folgende
"Untergruppen": Bombyces, Noctuae, Geometrae, Tortrices,
Pyralides, Tineae und Alucitae. Während er bei den Bombyces
und den Noctuae noch grammatikalisch korrekte Namen vergibt,
so setzt er bei den übrigen Gruppen auf formelhafte Namen mit
unveränderlichen, gruppenspezifischen Endungen des
Artepithetons. Die Namen in den Geometrae enden zum Teil alle
auf -aria, die restlichen auf -ata. Die Tortrices haben
allesamt Namen mit der Endung -ana, die Pyralides enden alle
auf -alis, die Tineae auf -ella und die Alucitae auf -dactyla.
Man könnte jetzt pauschal argumentieren, dass solche
Formelnamen ja nur dem Gesetz der Formel und nicht den
Gesetzen der Grammatik folgen und deshalb die Frage nach der
grammatikalischen Korrektheit sinnlos ist. Allerdings
resultieren in vielen Fällen trotz der Formelhaftigkeit
grammatikalisch korrekte Namen, die also mit den Regeln der
Grammatik behandelt werden könnten. Hier ein paar Beispiele:
Grammatikalisch eigenwillige Formelnamen:
(Tortrix) Forsskåleana: gebildet aus dem Nachnamen des
Naturforschers Peter Forsskål und der Tortrices-Formelendung
-ana, mit dem Bindevokal -e-.
(Tinea) Swammerdamella: gebildet aus dem Nachnamen des
Naturforschers Jan Swammerdam und der Tineae-Formelendung
-ella.
Grammatikalisch korrekte bzw. "fast korrekte" Formelnamen:
(Tinea) sociella: gebildet aus der Vorsilbe soci- und
der Tineae-Endung -ella. Ist zugleich aber auch die
grammatikalisch korrekte Diminutivform von socia: lat.
sociella, -ae = "kleine Gefährtin".
(Tinea) pratella: gebildet aus der Vorsilbe prat- und
der Tineae-Endung -ella. Linnaeus (1758) spielt hier
offensichtlich auf das lateinische Wort für "Wiese" (pratum,
-i) an, denn er schreibt "Habitat in pascuis" ("lebt auf
Weiden"). Allerdings ist "pratella" keine grammatikalisch
korrekte Form. Sollte das Wort ein Adjektiv sein, so müsste es
korrekt "pratensis" heißen. Sollte das Wort im
substantivischen Gebrauch sein, so könnte es durch die Endung
-ella ein Diminutiv sein, was aber grammatikalisch falsch
wäre: erstens bezieht im Lateinischen das substantivische
Diminutiv sein Geschlecht stets vom Substantiv das es
verkleinert, in diesem Fall pratum, -i = "Wiese", ein
sächliches Wort. Das korrekte Diminutiv wäre hier also
pratellum. Zweitens ist von pratum im klassischen Latein nur
das Diminutiv pratulum, -i = "kleine Wiese" belegt.
Es wird nun also klar, wie Linnaeus (1758) vorgegangen ist:
er hat für jede Art passende (z. B. den Lebensraum oder die
Nahrungspflanze betreffende) lateinische Begriffe oder die
Nachnamen bekannter Naturforscher gewählt und diese dann
(manchmal noch mit einem Bindevokal) mit seinen Formelendungen
zusammengeschweißt. Dabei war es ihm offensichtlich einerlei,
ob eine grammatikalisch korrekte Wortbildung oder aber nur
"halb richtige" bzw. grammatikalisch eigenwillige Wortgebilde
resultieren. Er hat aber offensichtlich auch korrekte
lateinische Worte verwendet, wenn sie "zufällig" in seine
Formel passten, als Beispiele:
(Tinea) pulchella: das korrekte Adjektiv pulchella =
"schön", folgt zugleich aber auch der -ella-Formel für die
Tineae.
(Tinea) bella: das korrekte Adjektiv bella = "hübsch",
formal aber auch mit -ella-Endung der Tineae.
(Geometra) immutata: das korrekte Partizip von immuto
(immutata = "unverändert"), zugleich aber auch formelgerecht
mit der -ata-Endung der Geometrae.
Insgesamt vermute ich sehr stark, dass Linnaeus (1758) alle
seine Formelendungen adjektivisch gemeint hat, das zeigt schon
die Tatsache, dass er für seine Formelendungen solche Endungen
gewählt hat, die auch das Lateinische häufig für Adjektive (z.
B. -alis, -ana) oder Partizipien (z. B. -ata) verwendet. Die
Endung -ella bei den Tineae fällt etwas aus dem Rahmen, weil
diese Endung im Lateinischen üblicherweise für Diminutive
verwendet wird, aber es gibt einige Beispiele dafür, wie das
Lateinische die typischen Diminutivendungen (z. B. -ellus,
-ella, -ellum) verwendet, um Adjektive zu bilden: pulchellus
("schön"), pusillus ("winzig"), miscellus ("gemischt"),
misellus ("unglücklich"), novellus ("jung").
Somit verstand Linnaeus wohl auch grammatikalisch eigenwillig
erscheinende Namensbildungen wie (Tortrix) Forsskåleana und
(Tinea) Swammerdamella ganz einfach als "die forsskålsche
Tortrix" und die "swammerdamsche Tinea". Und vermutlich hat
Linnaeus auch solchen Artepitheta adjektivischen Wert
zugedacht, die grammatikalisch auch anders gedeutet werden
können, z. B. bei (Tinea) sociella, die er vermutlich als die
"vergesellschaftete Tinea" gedacht hat, da sie mit Hummeln
zusammenlebt (lat. socius, -a, -um = "vergesellschaftet,
gemeinsam, verbunden"), auch wenn das Wort sociella auch als
diminutives Substantiv gedeutet werden kann (lat. sociella =
"kleine Gefährtin").
Obwohl ich also sehr sicher bin, dass Linnaeus (1758) die von
ihm geprägten Artepitheta mit ihren formelhaften Endungen
ausnahmslos als Adjektive verstanden hat, so geht dies nicht
zweifelsfrei aus seinem Buch hervor und er hat es auch leider
nirgends in seinem Buch explizit angegeben. Nach den
Nomenklaturregeln (ICZN 1999) müssen Artepitheta, die
lateinische oder latinisierte Adjektive und Partizipien (im
Nominativ Singular) sind, an das grammatikalische Geschlecht
des Gattungsnamens angepasst werden (Article 31.2.). In der
Regel ist der adjektivische Charakter dann unzweifelhaft
gegeben, wenn das Artepithet ein korrekt gebildetes
lateinisches Adjektiv oder Partizip ist. Wenn aber der
adjektivische Charakter des Artepithetons nicht eindeutig ist
und auch aus dem Gebrauch in der Publikation nicht
zweifelsfrei hervorgeht, und schließlich der Autor nicht
angegeben hat, ob es ein Adjektiv oder ein Substantiv ist,
dann muss ein substantivischer Gebrauch angenommen werden
(Article 31.2.2.). Dies bedeutet, dass bei jedem einzelnen
Artepitheton separat geprüft werden muss, ob Article 31.2.2.
angewendet werden muss. Pauschale Lösungen auf Grund der
starken Vermutung, dass Linnaeus alle Formelnamen als
Adjektive gemeint hat, wären zwar wünschenswert, sind nach den
Nomenklaturregeln jedoch nicht vorgesehen.