21.Juni 1996

> Editorial

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> Studieren im Krieg

> "Wir sehen uns vor Gericht!"

> Skalpell gewetzt:

v Kohl muß weg.

Hunderttausende demonstrieren gegen Sparpaket
"Kohl muß weg!" schallte es aus hunderttausenden Kehlen durch den Bonner Hofgarten. Es war der Höhepunkt des Marsches auf Bonn, zu dem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) am vergangenen Samstag aufgerufen hatte. Der DGB rief, und fast 400.000 Menschen strömten aus allen Teilen der Republik nach Bonn. 5400 Busse und über 70 Sonderzüge rollten in Richtung Noch-Regierungssitz. Alte Hasen waren dabei, die sich schon für Frieden, gegen den NATO-Doppelbeschluß und gegen Atomkraft auf die Straße gemacht haben, viele aber demonstrierten zum erstenmal in ihrem Leben - kurz vor der Rente. Gemeinsam war allen die Verärgerung über das Demontageprogramm der Bundesregierung und die Sorge um soziale Sicherheit und sozialen Frieden. Diesen Anliegen schlossen sich zahlreiche KünstlerInnen, PolitikerInnen (vor allem aus den Reihen der SPD) und die Kirchen an. Auf der zentralen Kundgebung im Hofgarten wurde offensichtlich, daß die OrganisatorInnen vonseiten der Gewerkschaften die Entschlossenheit der DemonstrantInnen weit unterschätzt hatten. Ihre in der mittlerweile gewohnten diplomatisch-verklausulierten und sozialpartnerischen Weise vorgetragenen Reden standen in Kontrast zu den anderen Beiträgen: Die Hamburger Bischöfin Jepsen erklärte, den Kirchen gehe es nicht darum, das Sparpaket wieder aufzuschnüren und umzupacken. Vielmehr dürfe überhaupt nicht gespart werden. Es müsse auch gar nicht gespart sondern umverteilt werden. Alle RednerInnen wurden allerdings von der letzten Rednerin, der Bochumer AStA-Vorsitzenden in den rhetorischen Schatten gestellt. Sie brachte den Unmut der DemonstrantInnen auf den Punkt: "1. Das Sparpaket muß weg! 2. Kohl muß weg!" Den Ruf nahmen die Hunderttausende spontan auf und riefen minutenlang: "Kohl muß weg!"
Die Demonstration in Bonn hatte keine ausgefeilten Forderungen vorzubringen, es wurde nicht systemanalytisch und -kritisch diskutiert. Viele waren einfach gekommen, um ihre Angst um unsere Gesellschaft zu äußern und klarzustellen, daß sie für eine solidarische Gesellschaft zusammenstehen. Wer diese Hunderttausende als "Pöbel" beschimpft, erklärt, er werde sich "dem Druck der Straße nicht beugen" und die ernsten Sorgen und Anliegen breiter Bevölkerungsschichten abtut und ignoriert, wird hoffentlich bald mehr Druck von unten spüren:
Kohl muß weg.

> AStA schon im Sommerloch