Gerd Lüdemann's Homepage
Bibliographie aller wissenschaftlichen Veröffentlichungen
Die Auferweckung Jesu von den Toten
Ursprung und Geschichte einer Selbsttäuschung,
Lüneburg: zu Klampen, 2002, S. 218-228 (aus Beigabe 4)
Die Auferstehung Jesu - in Auseinandersetzung mit zwei neueren dogmatischen Entwürfen (Dalferth und Ringleben)1
Nicht die historische, sondern die systematische Theologie macht
die Krisis offenbar, in der sich die protestantische Theologie
befindet. (Gerhard Ebeling)
Einführung
Eigentlich verspüre ich keine Neigung mehr, mich zur Frage der
Auferstehung Jesu zu äußern. Denn den meisten, die an dieser Frage
Interesse haben, sind meine einschlägigen Thesen bekannt. Außerdem ist
die Diskussionsatmosphäre unerfreulich, und dort, wo in neueren
Beiträgen meine Thesen Gegenstand der Darlegungen sind, wird mir immer
gleich bescheinigt, sachlich nichts Neues beizutragen.2
Außerdem habe ich vor allem wegen meiner Auferstehungsthesen und
der damit verbundenen Negierung der Wiederkunft Christi berufliche
Nachteile in Kauf nehmen müssen: mir sind Forschungsmittel gekürzt,
meine einzige Assistentenstelle ist entzogen und überhaupt sind mir
jegliche Prüfungsrechte aberkannt worden.3 All das geschah, weil die
Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen beim
Wissenschaftsministerium in Hannover vorstellig wurde, meine
Entlassung aus dem Staatsdienst verlangte und, als dieser Wunsch
abgelehnt wurde, schließlich erfolgreich meine Ausgliederung aus den
theologischen Studiengängen durchsetzte. Meine Kollegen haben dieses
Ansinnen mitgetragen und theologisch weiter begründet. In meinem Buch
"Im Würgegriff der Kirche" (1998) sind die entsprechenden
Dokumente abgedruckt und kommentiert. Der vorläufige Ertrag des
theologischen und juristischen Tauziehens ist die Einsicht, dass auch
ein evangelischer Theologieprofessor für Neues Testament ein
konfessionsgebundenes Staatsamt innehat. Die von ihm betriebene
Theologie muss glaubensgebunden sein, d.h., wenn er in seinen
Forschungen zu Ergebnissen kommt, die in den meisten Punkten dem
Bekenntnis der Kirche widersprechen, hat er kein Recht mehr, im
bekenntnisgebundenen Fach "Neues Testament" tätig zu sein.
Anders gesagt: Da die Auferstehung Jesu ein zentrales Bekenntnis der
Kirche ist, war in meinem Fall die Aussage, Jesus ist nicht
auferstanden, ein entscheidender Grund, die genannten Sanktionen gegen
mich zu verhängen.
Angesichts dieses Hintergrundes fällt es mir immer schwerer, mich
mit Argumenten von Kollegen auseinanderzusetzen, die zumindest
indirekt an den juristischen Maßnahmen gegen mich beteiligt waren.
Denn damit hatten sie von vornherein sichergestellt, dass ihre
Auffassung obsiegte.
Ansatz und Methode
Zunächst werde ich meinen eigenen Zugang zur Frage der
Auferstehung Jesu entfalten, dann die ältesten Auferstehungstexte
betrachten und in einem Schlussteil meinen eigenen "Glauben"
formulieren.
Mein eigener Zugang zur Auferstehungsproblematik sei in Abgrenzung
von der Vorgehensweise Ingolf Dalferths entwickelt. Da er Argumente
vorträgt, die in der Systematik weit verbreitet sind, steht das
Folgende stellvertretend für die Auseinandersetzung der historischen
Theologie mit der Dogmatik. Der Streit zwischen beiden zieht sich
durch die neuere Theologiegeschichte hindurch. Dalferth erhebt im
Namen der kritischen Theologie Einspruch gegen "historische,
empirische, wissenschaftliche Engführungen des
Wirklichkeitsverständnisses". Er fährt begründend fort:
"Das Leben umfasst mehr, als die Wissenschaften auf ihre
methodisch abstrahierende ... und präparierende Art und Weise
erfassen. Und 'Gott' steht für mehr als das, was das Leben umfaßt. Auf
dieses Mehr zielt die Theologie."4
In diesem Zusammenhang ist für Dalferth
"historisches Fragen (für sich) genommen noch nicht einmal
eine Annäherung an das, um das es im Auferweckungsbekenntnis geht.
Solches Fragen ist theologisch unzureichend, weil es gerade das
methodisch ausblendet, worum es in dem christlichen Bekenntnis zentral
geht: die Auferweckung des Gekreuzigten."5
Um ein evtl. Missverständnis auszuschließen, lässt Dalferth
ausdrücklich historische, psychologische, physikalische und
wissenssoziologische Fragen zu, doch nur mit dem Ziel, "die
Wahrnehmung der Wirksamkeit Gottes in den Erfahrungen der Zeit"6
zu präzisieren. Und weiter besteht er darauf, dass unter Absehung von
Gott die dem christlichen Auferweckungsbekenntnis zu Grunde liegenden
Erfahrungen nicht zu erklären und zu verstehen seien.7
Indes hinterlassen die Ausführungen Dalferths bei mir vorwiegend
Ratlosigkeit. Ich brauche nicht darüber belehrt zu werden, dass das
Leben mehr umfasse als Wissenschaft. Diese Einsicht ist jedermann
evident. Die Frage stellt sich aber, wieso und kraft welchen
Erkenntnisprivilegs Dalferth und alle, die seiner Meinung sind, ihrer
Disziplin den Rang einer Wissenschaft zugestehen. Auf sie trifft eher
der Ausdruck "Meinerei" zu, die unverzüglich von der
Universität verschwinden wird, sobald die Macht der Kirchen ihr nicht
mehr die Stange hält. In ihr ist nämlich "Gott" eine
unhinterfragbare Größe, obwohl diese in den modernen
wissenschaftlichen Disziplinen gar nicht mehr vorkommt, und das mit
Recht.
Im Gegensatz zu Dalferth ist Theologie für mich nur dann eine
wissenschaftliche Disziplin, wenn sie die wissenschaftlichen Normen
der modernen europäischen Universität einhält und von
Erkenntnisprivilegien jeglicher Art - auch von dem Privileg der
Erkenntnis Gottes - Abschied nimmt. Theologie ist insofern eine
geschichtliche Disziplin, als sie das Christentum mit Hilfe der
historisch-kritischen Methode untersucht. Und für die historische
Methode gelten drei Voraussetzungen: die Kausalität, die
Berücksichtigung von Analogien und die Erkenntnis von der
Wechselbeziehung der historischen Phänomene zueinander. Ihre
Arbeitsweise folgt dem methodischen Atheismus der Neuzeit ("als
ob es Gott nicht gäbe"), der freilich von einem dogmatischen
Atheismus zu unterscheiden ist. Befreit von den übernatürlichen
Voraussetzungen und ausgerüstet mit einem Instrumentarium historischer
Kritik, hat die so verstandene Theologie als wissenschaftliche
Disziplin geradezu eine kopernikanische Wende für alle Kirchen- und
Religionsgemeinschaften zur Folge. Sie hat sich in den
geisteswissenschaftlichen Disziplinen behauptet und völlig neue
Einsichten geliefert.
Die historische Methode ist Teil des emanzipatorischen Prozesses
wissenschaftlicher Neugierde. Sie will Sinngebungen nachvollziehen,
d.h. verstehen, muss sich aber, will sie denn Objektivität anstreben
und die Welt entzaubern, gerade deshalb von allen ihr begegnenden
fremden Ansprüchen emanzipieren:
a) vom Anspruch des kanonischen Status bzw. der Heiligkeit
bestimmter Schriften,
b) vom Anspruch einer Offenbarung, da Offenbarung kein
wissenschaftlicher Begriff ist,
c) vom Anspruch, zwischen Rechtgläubigkeit und Ketzerei in einem
Sinn zu unterscheiden, der über die Rekonstruktion und Wahrnehmung
historischer Ansprüche hinausgeht. Denn hier stehen sich essentiell
nicht entscheidbare dogmatisch-theologische Urteile einander
gegenüber.
Die historische Methode verweigert eine Antwort auf die religiöse
Wahrheitsfrage und kann nur verschiedene Wahrheitsansprüche
miteinander vergleichen. Sie ist darin ideologiekritisch. Als
geschichtswissenschaftliches und philologisches Instrument ist sie den
Methoden der Geisteswissenschaften in all ihren Ausprägungen
verpflichtet. Entscheidend bei der Übernahme neuer Methoden aus den
Nachbardisziplinen, wie Soziologie, Psychologie und Ethnologie, ist
deren Überprüfbarkeit und Fruchtbarkeit in der Aufhellung
geschichtlicher Phänomene. Ihre Voraussetzungen müssen revidierbar
bleiben und können immer nur durch ihre erklärende und deutende
Wirkung, aber nicht durch kirchlichen Machtwillen in Geltung gehalten
werden.
Rede ich hier an Dalferth und seinen Vorgängern vorbei? Um
sicherzustellen, dass dies nicht der Fall ist, sei betont: Wenn
Dalferth den Wahrheitsanspruch der christlichen Rede von Gott als
unabdingbare Voraussetzung theologischer Reflexion einführt, dann soll
er sich zunächst einmal dem Befund stellen, dass die Bibel - schon
sichtbar an ihren verschiedenen Gottesbezeichnungen - eine Vielzahl
unterschiedlichster Gottesbilder enthält. Auf welchen Gott will man
sich denn einigen, wenn es um Wahrheitsansprüche geht, die
wissenschaftlich diskutierbar sein sollen? So haben Juden und Christen
jedenfalls dasselbe heilige Buch, das Alte Testament bzw. die
hebräische Bibel, und damit denselben Gott. Wie aber verhält sich
dieser zum Gott des Neuen Testaments, der dem christlichen Bekenntnis
zufolge seinen Sohn in die Welt gesandt hat? Ist nicht schon die
Existenz verschiedener Religionen - Judentum einerseits, Christentum
andererseits - mit derselben Bibel und demselben Gott ein starkes
Argument gegen den Wahrheitsanspruch der christlichen Religion? Als
weiterer Einwand kommt die Existenz des Islam hinzu, dessen
Gottesgedanke einerseits auf der Bibel fußt und andererseits auf
arabischen Elementen.
Der systematische Theologe Dalferth mag angesichts dieses Befundes
mit einer höheren Einsicht oder Offenbarung argumentieren. Aber
dasselbe werden der jüdische oder muslimische Theologe auch tun, und
beide werden nachdrücklich die christliche Lehre von der Dreieinigkeit
Gottes zurückweisen.
Zusätzlich kompliziert sich die Sache für Kirche und Israel mit
Blick auf Gnostiker jüdischen und christlichen Ursprungs. Die
degradierten nämlich in einer Art Protestexegese den
alttestamentlichen Gott kurzerhand. So heißt es in einer Ende 1945 bei
Nag Hammadi in Oberägypten entdeckten Schrift mit dem Titel "
Zweiter Logos des großen Seth" :
Und dann ertönte eine Stimme des Weltherrschers zu den Engeln:
"Ich bin Gott, und es gibt keinen außer mir" (Jes 45,5). Ich
aber lachte voller Freude, als ich seine eitle Herrlichkeit prüfte.8
Statt dessen führten diese Gnostiker göttliche Wesen ein, die über
diesem alttestamentlichen Gott stehen. Dies haben sie in zahlreichen
Texten mit großer Plausibilität getan, während Juden und Christen mit
guten Gründen am Gott des Alten Testaments festhielten, aber unter
sich wegen des verschiedenen Verständnisses Jesu verfeindet blieben.
Demnach gilt: Der Wahrheitsanspruch der christlichen Rede von Gott
erliegt ebenso wie der Wahrheitsanspruch der jüdischen, der
muslimischen und der gnostischen Rede von Gott historischer
Relativität. Er ist ausschließlich ein Urteil oder ein Bekenntnis der
jeweiligen Glaubensgemeinschaft. Das muss gegenüber Dalferth und
anderen kirchlich gebundenen Theologen betont werden, die, wenn sie
"Gott" sagen, unter der Hand immer den christlichen Gott
meinen und unverzüglich einen Wahrheitsanspruch der Rede von ihm
erheben.
Das tut auch Joachim Ringleben in seinem Buch "Wahrhaft
auferstanden", das eine in vielen Einzelheiten mit Dalferth
übereinstimmende Position vertritt. Ringleben schreibt:
"Zuletzt geht es bei der Erörterung der Auferstehung Jesu
Christi um die Frage, ob Gott in Christus wirklich selber in die Welt
gekommen ist und von sich aus Gemeinschaft mit uns Menschen
hergestellt hat ... Darum ist der Glaube an die Auferstehung
wesentlich eins mit dem Glauben an Gottes Gottheit ... An die
Auferstehung zu glauben, ist nicht schwerer, als überhaupt an Gottes
Wirklichkeit zu glauben."9
Hier verlegt der Dogmatiker das zunächst historisch zu lösende
Problem der Auferstehung Jesu in den Bereich der Gottesfrage. Die
Empirie bleibt außen vor. Es sei daran erinnert, dass in der
Geschichte der Bibelkritik der Hinweis auf Gott regelmäßig dazu
diente, die Vernunft zum Schweigen zu bringen. David Friedrich Strauß
hat das einmal so karikiert:
"Von irrigen und widersprechenden Berichten, von falschen
Meinungen und Urtheilen kann in der Bibel keine Rede sein. Sie mag
erzählen oder lehren, wogegen unsere Vernunft sich noch so sehr
sträubt: wo Gott spricht, da steht der menschlichen Vernunft einzig
bescheidenes Schweigen an."10
Ringlebens Ausführungen werfen überhaupt zahlreiche allgemeine
Fragen auf. Er postuliert einseitig, dass die Theologie in all ihren
Disziplinen immer neu lernen müsse, "auf die Schrift im Ganzen zu
hören"11. Dem entspricht die harmonisierende Behandlung des
Osterzeugnisses bzw. der Ostererzählungen des Neuen Testaments.
Ringleben zufolge soll man "den Unterschied zwischen den
Ostererscheinungen der Evangelien und der Erscheinung vor Paulus nicht
übertreiben oder gegeneinander ausspielen." 12 Weiter
berücksichtigt er an keiner Stelle Berichte von Erscheinungen des
auferstandenen Jesus außerhalb des Neuen Testaments13 - ein Vorgehen,
das ausschließlich durch das Dogma vom Neuen Testament14 begründet
ist. Gleichzeitig sagt er, dass die Urgemeinde die Ostererscheinungen
begrenzt habe.15 Diese auf einer zaghaften Anleihe bei der
historischen Forschung beruhende Aussage sollte um die weitere ergänzt
werden, dass Paulus dem lk Werk zufolge gar kein Osterzeuge war - der
Bericht von seiner Hinwendung zum christlichen Glauben (Apg 9) steht
in einer Reihe von drei Bekehrungsgeschichten16 - und dass die
Urgemeinde dem Anspruch des Paulus, ein vollwertiger Osterzeuge
gewesen zu sein, äußerst skeptisch gegenüberstand. Letzteres sei hier
nochmals betont, da Ringleben in Verkennung des historischen
Sachverhalts behauptet:
"Die den Christenverfolger Saulus zum Apostel machende
Erscheinung des Auferstandenen an ihn vor Damaskus (I Kor 9,1; Gal
1,15f.; Phil 3,8) hat ihn in den Augen der Urgemeinde und ihrer
'Säulen' völlig als Apostel legitimiert (I Kor 15,8f.)."17
Schließlich konstatiert Ringleben, theologisch abwegig sei
"jede enge Fixierung auf das Thema dergestalt, dass man über
das isolierte Mirakel der Wiederbelebung eines Leichnams streitet ...
oder über die ... scheinbar hart realistische Frage, ob das Grab Jesu
leer gewesen sei oder nicht."18
Aber wenn er sagt, dass der Leichnam Jesu "weder entwendet
wurde noch auch natürlich verwest ist"19 und
"daß sich an Jesus in einer Art 'Zeitraffung' antizipatorisch
auch im Leiblichen vollzogen hat, was sich im Eschaton mit den Leibern
aller Gestorbenen begeben wird"20,
dann setzt er das leere Grab doch voraus.21
Es nimmt daher nicht Wunder, dass der Göttinger Systematiker Dietz
Lange die Gedankenführung seines Kollegen kritisiert hat. Ringlebens
Behauptung,
"daß aus dem Grab Erwecktwerden nicht einfach identisch ist
mit der Wiederbelebung eines Leichnams, der aus dem Grab hervorkommend
sich den Jüngern zeigte"22,
erweist er durch die Folgerung als absurd: dann müsste man sich
"wohl den 'geistlichen Leib' als eine durch chemische
Veränderung entstandene quasi physikalische Substanz denken."23
Genug der Einzelkritik. Ein historisch denkender Mensch wird den
tollkühnen Ausführungen Ringlebens schwerlich etwas abgewinnen können.
Daher möchte ich ihnen auch nicht unter ihren eigenen dogmatischen
Bedingungen begegnen, sondern nur noch auf den hohen - um nicht zu
sagen: den uneinlösbaren - Anspruch hinweisen, den Ringleben erhebt:
Die Auferstehung Jesu habe "eine objektive Bedeutung ... für die
Geschichte der Welt, ja mit Jesu Tod zusammen" sei sie
"deren Wendepunkt ... und zugleich ein Ereignis von kosmischer
Bedeutung."24
Aus der Welt der Dogmatik gilt es nun, in niedere Gefilde zu
steigen und einen Blick auf die Quellen zu werfen, der in die Tiefe
geht.
Die ältesten christlichen Auferstehungstexte
Ich beginne mit dem ältesten Bericht der neutestamentlichen
Evangelien zur Auffindung des leeren Grabes durch Frauen, Mk 16,1-8.
Vorweg sei betont, dass sich allein an diesem Text die Frage
entscheidet, ob dem leeren Grab ein historischer Wert zukommt. Denn
die Berichte der anderen drei Evangelien verarbeiten die Erzählung des
MkEv und verändern diese gemäß ihren Intentionen. Insbesondere fällt
auf, dass alle die Nicht-Erzählung der Kunde vom leeren Grab, wie sie
sich bei Mk (16,8) findet, in ihr gerades Gegenteil verkehren.
Die Erzählung Mk 16,1-8 besteht aus drei Teilen: Die Frauen sind
zunächst auf dem Wege zum Grab (V. 2-4), dann im Grab (V. 5-7), und
schließlich fliehen sie vom Grab (V. 8). Eigentlich entdecken sie gar
nicht das leere Grab, sondern den Jüngling, dessen Verkündigung:
"Jesus wurde auferweckt" (V. 6), den Mittelpunkt der
Geschichte bildet. Demnach steht fest, dass die Geschichte kunstvoll
aufgebaut ist.
Wie ist es um die Historizität des Erzählten bestellt?
Oftmals wendet man eine Subtraktionsmethode an, um zum
historischen Kern vorzustoßen. Da sich recht viele unglaubwürdige
Elemente in dem Text finden, bleibt dann häufig nur der Befund übrig,
dass drei namentlich genannte Frauen das Grab Jesu am dritten Tag
besucht haben, zuweilen aber auch, dass das von Ihnen vorgefundene
Grab leer war.
Merkwürdigerweise hat man bisher ein Argument gegen die
Historizität des Erzählten noch nicht recht gewürdigt. Am Ende der
Geschichte heißt es, die Frauen hätten entgegen dem Befehl des
Jünglings den Jüngern nichts von dem Geschehenen weitererzählt.
Begründung: "Denn sie fürchteten sich" (V. 8). Dieser Vers
ist das Ende des MkEv. Es ist sicher, dass der Vf. sich dabei etwas
gedacht hat, denn auch in der Antike wurden Anfang und Ende eines
literarischen Werkes mit besonderer Sorgfalt gebildet. Was folgt
daraus für die Interpretation?
Mk gibt mit dem Schluss zu verstehen, dass die Kunde vom leeren
Grab bisher unbekannt geblieben ist, denn die Frauen haben
geschwiegen. Er selbst erzählt als erster davon.
Daraus folgt: der erste Bericht vom leeren Grab ist etwa in das
Jahr 70, der mutmaßlichen Abfassungszeit des MkEv, zu versetzen -
vierzig Jahre nach dem Tode Jesu. Es leuchtet ein, dass damit der
historische Wert dieses Berichts vom leeren Grabes Jesu gleich Null
ist.
Das gleiche Resultat ergibt sich aus der Betrachtung des ältesten
Textes zur Auferstehung Jesu, 1Kor 15,3-5.Hier erinnert Paulus die
Adressaten zunächst daran, was er ihnen bei der Gründung der Gemeinde
überliefert hat (V. 1.3a), und betont, dass er dies selbst - wohl bald
nach seiner Bekehrung (etwa 34 nChr) - empfangen habe (V. 3b). Es ist
nun ein großer Glücksfall für die historische Rekonstruktion, dass der
Apostel im Anschluss daran in V. 3c-5 diese auch in chronologischem
Sinne vorpaulinische Überlieferung noch einmal zitiert.
In dieser Tradition, die aus einem parallel gebauten Zweizeiler
besteht, geht es um einen je doppelten "Beweis": einerseits
aus den Schriften, auf die jedoch nur allgemein verwiesen wird, und
andererseits aus einer bestätigenden Tatsache. Dabei bekräftigt die
Aussage über das Begräbnis Jesu die Tatsache seines Todes, und die
Aussage über die Erscheinung vor Kephas die Tatsache der Auferstehung.
Die Erscheinung vor Kephas ist offenbar der Grund für das Bekenntnis:
"Jesus wurde auferweckt".
Was ergibt sich daraus für das Problemfeld "Auferstehung
Jesu"?
Am Anfang stand eine umstürzende visionäre Erfahrung des Kephas,
an die sich fast ansteckend Einzel- und Gruppenvisionen anschlossen.
Ihr Inhalt war der himmlische Jesus, den Gott zu sich erhöht hatte.
Also hatte Gott - so die theologische Folgerung - den schmählich am
Kreuze Hingerichteten von den Toten erweckt. Da Primärquellen aus dem
unmittelbaren Jüngerkreis fehlen, müssen viele Einzelheiten und
Deutungsmuster offen bleiben. Ich habe bereits in meinem
Auferstehungsbuch aus dem Jahre 1994 die Vision des Kephas als
missglückte Trauerarbeit zu verstehen gesucht.25 Jedoch ziehe ich aus
dieser Einsicht heute andere Konsequenzen.26
Die Erscheinung Jesu geschah vom Himmel und nicht in der Gestalt
einer Begegnung mit einem himmlischen Wesen auf dieser Erde, wie es
die neutestamentliche Osterlegende zeichnet. In dieser verzehrt Jesus
vor den Augen der Jünger Fisch und Brot, bietet seine eigene Berührung
an und kehrt erst 40 Tage nach seiner Auferstehung in den Himmel
zurück. Mit anderen Worten, ein Großteil der neutestamentlichen
Ostergeschichten ist späteren Datums und dient beispielsweise in der
Betonung der Körperlichkeit des auferstandenen Jesus der Abwehr der
These, Jesus sei nur geistig auferstanden. Für die früheste Zeit
zwischen Karfreitag und Ostern tragen diese Legenden demnach nichts
aus.
Wissenschaftlich ergiebiger ist die Untersuchung der
Ostererfahrung des Paulus, weil wir von ihr Primärquellen von dem
Betroffenen selbst zur Verfügung haben. Sie kann eindeutig aus anderen
Belegstellen seiner Briefe als Vision verstanden werden. Man vgl.
besonders 1Kor 9,1: Paulus hat den Herrn gesehen. Dieser Sachverhalt
wird in der protestantischen Bibelforschung und Dogmatik oft
abgestritten, und die Geschichte der Verständnislosigkeit gegenüber
Phänomenen wie Visionen und Auditionen muss erst noch geschrieben
werden. Visionen waren bei Paulus nicht auf das
"Damaskusereignis" beschränkt. Auch in späterer Zeit war
sein Leben von visionären Erfahrungen begleitet27, die er oft mit
einer Krankheit bezahlen musste.28
Wie konnte es zu der Christusschau des Paulus kommen, zumal er
selbst Jesus persönlich gar nicht gekannt hat? War damit nicht von
vornherein ein ganz anderes Bild des Auferstandenen als bei den
Jüngern mitgegeben? Wie war dann Paulus überhaupt in der Lage, die
persönlichen Jünger Jesu von der "Echtheit" seiner eigenen
Christusvision zu überzeugen? Solche und ähnliche Fragen türmen sich
nur so auf, wenn man die früheste Zeit der christlichen Bewegung
historisch zu verstehen sucht.
Ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der Ostererfahrung des
Paulus liegt in seiner Tätigkeit als Christenverfolger. Im Alter von
etwa 30 Jahren nahm sein Leben durch das sogenannte Damaskusereignis
eine entscheidende Wende. Wie konnte dies geschehen?
Führen wir das Gedankenexperiment durch, man hätte Paulus vor der
Damaskusvision analysieren können, so dürfte die Analyse eine starke
Strömung zu Christus hin aufgewiesen haben, ja, die Annahme seiner
unbewussten Christlichkeit29 liegt dann nicht mehr so fern. Die
vehement aggressive Haltung des Paulus gegen die Christen, sein Eifer,
mag damit zusammenhängen, dass die Grundelemente der von ihm
verfolgten Christen ihn unbewusst angezogen haben. Jedoch aus Angst
vor seinen unbewussten Strebungen hat er diese auf die Christen
projiziert, um sie dort um so ungestümer attackieren zu können.
Mit der Vision Christi ergab sich für Paulus eine Umschichtung.
Der mit der Verfolgung aufgestaute Schuldkomplex wurde durch die
Gewissheit, in Christus zu sein, abgelöst. Der Verfolger stürzte in
Christus förmlich hinein und erlebte dies als Befreiung, Erleuchtung
und Leben. Dabei machte Paulus die ungeheure Erfahrung, ein neues Ich
zu bekommen, das mit Christus identisch war. Dieses fremde, ihm
geschenkte Ich kam seit der Damaskusvision immer mehr zum Durchbruch
und überstand auch die Verzögerung der Wiederkunft Jesu.
Zeitvorstellungen überholend, kam Paulus am Ende seines Lebens zur
Überzeugung, dass die Vereinigung mit Christus als
kosmisch-persönlicher Gestalt unmittelbar im Tod erfolgt und nicht
erst am Ende der Zeit.
Das Resultat der Analyse der ältesten christlichen
Auferstehungstexte ist in historischer Hinsicht eindeutig: Am Anfang
stand die Vision Jesu, und daran heftete sich die Folgerung, dass
Jesus lebe und Gott ihn zu sich erhöht habe. Demgegenüber war Jesu
Grab voll und sein Leichnam verweste, soweit er nicht überhaupt von
Geiern und Schakalen direkt vom Kreuzesbalken weggefressen wurde.
Gleichzeitig muss betont werden, dass die Ergebnisse meiner
Analysen des ältesten Osterglaubens in Widerspruch zum christlichen
Bekenntnis stehen und eigentlich keinem mehr erlauben, sich mit
ehrlichem Gewissen Christ zu nennen.
1 Vortrag an der Universität St. Gallen im Mai 2000
(überarbeitet). Herrn Dr. Frank Jehle danke ich für Einladung und
freundliche Aufnahme.
2 Vgl. nur Ingolf U. Dalferth, Volles Grab, leerer Glaube?, in:
Zeitschrift für Theologie und Kirche 95 (1998), S. 379-409, hier S.
380. Dalferth hält es daher für erstaunlich, dass meine Thesen weit
und kontrovers diskutiert werden.
3 Die meisten dieser offiziellen gerichtlichen Dokumente können
auf meiner Homepage (www.gerdluedemann.de) in der Rubrik
"Presse/Vorträge" eingesehen werden.
4 Dalferth, Grab, S. 381f.
5 Ebd., S. 385.
6 Ebd., S. 393 Anm. 36.
7 Ebd., S. 402.
8 53,27-34 (NHC VII,2). Deutsche Übersetzung nach Gerd Lüdemann
und Martina Janßen, Bibel der Häretiker: Die gnostischen Schriften aus
Nag Hammadi, Stuttgart 1997, S. 408. Diese Übersetzung der
Nag-Hammadi-Schriften wird im Folgenden mit "BdH" abgekürzt.
9 Joachim Ringleben, Wahrhaft auferstanden: Zur Begründung der
Theologie des lebendigen Gottes, Tübingen 1998, S. 49 Anm. 102.
10 David Friedrich Strauß, Der alte und der neue Glaube: Ein
Bekenntniß, 12.-14. Aufl. Bonn 1895, S. 12.
11 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, S. 5.
12 Ebd., S. 105.
13 Vgl. nur Brief des Jakobus 2,8-39 (NHC I,2 [BdH, S.17]);
Apokryphon des Johannes 1,5-26 (NHC II,1 [BdH, S. 103-105] ); Sophia
Jesu Christi 90,14-91,24 (NHC III,4 [BdH, S. 258]); Brief des Petrus
an Philippus (NHC VIII,4 [BdH, S. 500-506]).
14 Es gab kein Neues Testament im 1. Jahrhundert.
15 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, S. 100-102.
16 Apg 8,26-40 (Bekehrung des äthiopischen Eunuchen); Apg 9,1-19a
(Bekehrung des Saulus); Apg 10,1-11,18 (Bekehrung des Kornelius).
17 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, S. 102. Kursivsetzung G.L.
18 Ebd., S. 3.
19 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, S. 110.
20 Ebd.
21 Man vgl. auch Ringlebens Erläuterung: Grundsätzlich sei die
Bedeutung des leeren Grabes "darin zu sehen, daß es ein Index für
die Tatsächlichkeit der Auferstehung ist und für ihre Wirklichkeit
steht. ... Es besagt, daß der auferweckte Christus als solcher sein
leibliches Leben wieder in Besitz genommen hat, und das ist gerade
nicht das vereinzelte Wiederbelebtwerden eines Leichnams, das ja
wieder nur die Richtung auf ein erneutes Sterben in sich hätte"
(ebd., S. 109). Doch ist die Wiederherstellung des Leichnams Jesu -
als Wiederbelebung - die Voraussetzung dafür, dass Jesus im Sinne
Ringlebens sein leibliches Leben wieder in Besitz nehmen konnte.
22 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, S. 107f.
23 Dietz Lange, Glaubenslehre, Band II, Tübingen 2001, S. 134.
24 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, S. 47 Anm. 93.
25 Gerd Lüdemann: Die Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung,
Theologie, Göttingen 1994, S. 126-128 (Neuausgabe Stuttgart 1994, S.
113-116).
26 Vgl. den fiktiven "Brief an Jesus" in meinem Buch:
"Der große Betrug. Und was Jesus wirklich sagte und tat",
Lüneburg 1998, S. 9-18.
27 Vgl. Gal 2,2; Apg 16,9.
28 Vgl. 2Kor 12,7-8.
29 Vgl. Carl Gustav Jung: Die psychologischen Grundlagen des
Geisterglaubens (1919), in: ders.: Ges. Werke VIII, Zürich 1967, S.
348f.