24.3.97

> Editorial

v Schwaben ist überall: Proteste gegen "Rückmeldegebühren" in BaWü gescheitert

Der Protest gegen die Rückmeldegebühren in Baden-Württemberg ist gescheitert. An keiner Uni wurden die angestrebten Verweigerungs-Quoten erreicht. Trotzdem sehen die meisten Studierendenvertretungen den Boykott als Erfolg an.

"Was nichts kostet, ist auch nichts wert", meinte BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel gegenüber dem Nachrichtenmagazin Focus. Im selben Atemzug verlangte er deshalb allgemeine Studiengebühren von 2000 bis 3000 Mark pro Jahr für alle Studierenden. Mit den dadurch erwirtschafteten drei bis vier Milliarden Mark könnten die Unis dann wieder richtige Qualität bieten. In ähnlicher Richtung argumentiert auch der baden-württembergische CDU-Wissenschaftsminister Klaus von Trotha. Unsoziales könne er an solchen Gebühren nicht erkennen, denn "die Armen werden immer nur vorgeschoben, um die Reichen zu schützen.

Arme und Reiche stellten sich dann allerdings gemeinsam quer, als im Südweststaat, der wie andere Bundesländer unter der Last leerer Kassen ächzt, zur aktuellen Einschreibung sogenannte Rückmeldegebühren in Höhe von 100 Mark berappt werden sollten. Ab dem 13. Semester bezahlen sogenannte Langzeitstudierende 1000 Mark pro Halbjahr, vornehm verfloskelt als "Bildungsgutscheine". Dazu kamen neue drastische Kürzungen etwa bei Tutorien, wissenschaftlichen Hilfskräften und Bibliotheken. Eine Welle des Aufbegehrens wappte durch das brave Musterländle, sorgte für eine aufgeheizte Atmosphäre an den Unis, wie die man sie seit `68 nicht mehr erlebt hatte, trieb Tausende von Studis auf die Straßen - um am Ende doch nichts zu bewirken?!

Treuhand- statt Uni-Konto

Das vorrangige Ziel des organisierten Protests wurde verfehlt. Die baden-württembergischen ASten hatten zum Boykott der Semestergebühren aufgerufen, um der "Demontage des Sozialstaats entschlossenen und breiten Widerstand entgegenzusetzen". An nahezu allen Universitäten wurden Treuhandkontos eingerichtet, auf welche die 100 Mark gezahlt werden konnten. Bei Nichterfüllung bestimmter Quoten von Boykotteuren (50% aller Studis zum Beispiel in Freiburg) sollten die Gelder automatisch an die Unis überwiesen, nur bei ausreichender Beteiligung der Konflikt gesucht werden. "Solche Quoten sind mir herzlich gleichgültig", konterte allerdings Minister Trotha und versprach die Exmatrikulation aller befehlsverweigernden Studierenden. "Verhandlungen mit Rechtsbrechern wird es nicht geben."

Sein harter Kurs hatte Erfolg. Trotzdem gab es beachtliche Ergebnisse, wie zum Beispiel an der Uni Freiburg, wo 6700 EinzahlerInnen das Treuhandkonto nutzten, und einer großen Zahl an TotalverweigerInnen an vielen Unis. Über die zahlreichen Klagen gegen die Gebühren ist noch nicht entschieden worden. Und trotz relativ kurzer Vorbereitungszeit und Pionierrolle in Sachen Treuhandkonto wurden so viele Studierende wie seit Jahrzehnten nicht mehr erreicht. Auch die Demonstrationen während des Protests waren so gut besucht wie schon lange nicht mehr.

Die Ereignisse in Baden-Württemberg und Berlin zeigen deutlich, womit auch die Studis in anderen Bundesländern bald zu rechnen haben werden. Mit ein paar Postkarten wird es dann nicht mehr getan sein. Das Beispiel der eher unpolitischen Schwaben dürfte allerdings Mut machen - zum erfolgreichen Widerstand gegen Semestergebühren, die auch in Göttingen nicht mehr lange ausbleiben werden. Spätestens bei der nächsten Haushaltsdebatte im Landtag dürfte das Thema wieder aktuell sein.

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