24.3.97

> Editorial

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v Demonstrieren - aber richtig: Subjektiver Rückblick auf den Göttinger Castor-Protest

Am 31.2. war es soweit: Der Castor rollte durch Göttingen. Monatelang hatte sich insbesondere das Anti-Atom-Plenum auf diesen Tag vorbereitet. Die politische Konzeption des Castor-Widerstandes sollte in unzähligen Informationsveranstaltungen einer breiteren Öffentlichkeit vermittelt werden. Erklärtes Ziel war es, den Transport, wenn schon nicht zu verhindern, so doch zumindest durch massive Proteste sowohl in Göttingen als auch in Gorleben selbst möglichst teuer zu gestalten.

Im Vorfeld des Transports hatte es eine große "X-Parade" durch die Innenstadt gegeben, eine bunte Demonstration, an der sich auch Menschen beteiligten, von denen man annehmen dürfte, daß sie nicht bei jedem Anlaß auf die Straße gehen. Um es kurz zu machen: Was bei der "X-Parade" gelang, nämlich die Mobilisierung von 2000 DemonstrantInnen, wurde später noch nicht einmal mehr versucht.

Castor bei Göttingen gestoppt

Am entscheidenden Montagmorgen hatte es noch einigermaßen funktioniert: Mehrere hundert DemonstrantInnen blockierten in Bovenden und Rosdorf die Gleise, über die der Castor rollen sollte. Ergebnis: der Zug kam für handgestoppte 20 Minuten zum Stehen, 14 Polizei- und Grenzschutz-Hubschrauber sowie ca. 2000 PolizistInnen ließen auch in sonst eher staatstragenden BürgerInnen - vorsichtig formuliert - ein gewisses Unbehagen aufkommen. Parallel zu den von seiten der DemonstrantInnen erfreulicherweise völlig friedlichen Gleisbesetzungen fand in der Innenstadt noch eine SchülerInnen-Demo statt, bei der es zu massiven Übergriffen der Polizei kam.

Nachmittags versammelten sich dann ca. 500 Leute auf dem Wilhelmsplatz, um unter dem Motto "Solidarität mit dem Wendland -- unsere Bullen bleiben hier" zu demonstrieren und so eigentlich für den Einsatz in Gorleben vorgesehene Polizeikräfte zu binden. Das Konzept sah vor, während des Transports jeden Nachmittag "Spontandemos" zu veranstalten. Eine höchst vernünftige Idee (der Castor geht eben nicht nur das Wendland an) und eine große Chance dazu: Gerade die Anti-AKW-Bewegung hat immer von ihrem breiten Mobilisierungspotential gelebt.

Doch der großartige Erfolg der "X-Parade" ließ sich nicht wiederholen. Schon die erste, stärker noch alle weiteren "Spontandemos" zeichneten sich nicht nur durch eine dilettantische Organisation aus. Es wurde auch alles getan, um potentielle MitdemonstrantInnen abzuschrecken: Neben den offensichtlich unvermeidlichen aggressiven Parolen dominierte die "Antifa-Jugend" in der üblichen Kostümierung und mit den üblichen Ritualen das Bild.

Das wäre nicht weiter schlimm, würde man nicht davon ausgehen, daß der Protest gegen die Atommüll-Transporte weit breiter sein könnte (und auch müßte!), als es in Göttingen den Anschein hatte. Zwar waren viele Leute ins Wendland gefahren, um ihren Protest dort mit ganz anderen Mitteln kundzutun. Doch "normale" BürgerInnen motiviert man nicht unbedingt dadurch zu Solidaritätsbekundungen, daß die fast wohlig-schaudernd erwartete Gewalt der Staatsmacht prophylaktisch schon einmal verbal vorweggenommen wird.

"Politischer" Protest?

Die Gemüter zahlreicher SchülerInnen waren durch die Ereignisse vom Montag Vormittag sicherlich (zu Recht) erhitzt. Eine Protestbewegung aber, die für sich in Anspruch nimmt "politisch" zu sein, sollte sich in ihren Artikulationsformen nicht ausschließlich von solcher individueller "Betroffenheit" leiten lassen. Geradezu peinlich wurde es nämlich, als bei der letzten der "Spontandemos" zahlreiche Antifa-Kids glaubten, ihren Unmut durch (noch dazu schlecht plazierte) Eierwürfe auf PolizistInnen Luft machen zu müssen.

In ganzen Hundertschaften angetretene, martialisch ausgestattete "StaatsschützerInnen" mögen solch eher harmlose Gewaltformen zwar provozieren. Solange Demonstrationen aber das Ziel haben, in der Öffentlichkeit auf die eigenen Anliegen hinzuweisen und um Unterstützung zu werben, also mehr sein wollen als die lustvoll ritualisierte Konfrontation zwischen "Gut" und "Bouml;se", sind sie einfach fehl am Platz.

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