22.4.97
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Hochschulpolitischer Sprecher legt Grundsatzpapier vor
Man muß nicht unbedingt spießig sein, um es irritierend zu finden, wenn sich ein Grundsatzpapier einer linken Partei ausschließlich auf die Gesellschaftsanalyse eines Bill Gates stützt. Der hat nämlich verkündet, "gute Standortpolitik" müsse mehr Geld in Wisssenschaft investieren. Und weil das gut klingt, Rüttgers außerdem Ähnliches meint, steht dieses Zitat am Anfang des neuen hochschulpolitischen Positionspapiers der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.
Nicht erst seit diese Partei im letzten Frühjahr ihr Konzept für eine Neuregelung der Studienfinanzierung vorgelegt hat, ist klar, daß Hochschulpolitik nicht zu den Stärken der Grünen gehört. Vorgeschlagen wurde damals, das steuerfinanzierte BAföG durch einen Ausbildungsfonds (BAFF) zu ersetzen, in den AkademikerInnen nach ihrem Examen das 2,5fache des ausgezahlten Betrags zurückzahlen sollen. Im Grunde also eine Sondersteuer für Studierende, die dabei aber den Nutzen, den Wirtschaft und Gesellschaft aus den Hochschulen ziehen, völlig außer acht läßt (vgl. rotation Nr. 3). Inzwischen ist auch die FDP auf diesen Vorschlag eingeschwenkt und spätestens hier sollte man stutzig werden.
Was Matthias Berninger, seit kurzem hochschulpolitischer Sprecher der grünen Fraktion und mit 26 Jahren jüngster Bundestagsabgeordneter, nun zu Papier gebracht hat, läßt aber Schlimmstes befürchten, sollten die Grünen jemals in ein Wissenschaftsministerium einziehen. Offenbar von dem starken Willen beseelt, ideologischen Ballast" über Bord zu werfen, verabschiedet er sich von allem, was früher (zumindest auf dem Papier) Grundsätze linker Bildungspolitik waren.
"Illusion Chancengleichheit" ?
So z.B. von der "illusionären gesellschaftspolitischen Hoffnung, Chancengleichheit im Bildungssystem sei durch Politik wirklich herstellbar". Ob diese Hoffnung illusionär ist, sei einmal dahin gestellt. Daß aber ein demokratisch verfaßter Staat gerade im Bildungsbereich die Verpflichtung hat, zumindest zu versuchen, so etwas wie Chancengleichheit herzustellen, bestreitet nicht einmal die CDU. Sobald die Politik nämlich diesen Anspruch aufgibt, kann sie sich gleich das gesamte Schul- und Hochschulsystem sparen: Wer es sich leisten kann, möge sich dann einen Hauslehrer halten oder sein Kind auf eine private Elite-Uni schicken. Das wäre, um in Berningers Diktion zu bleiben, sicher "kostengünstiger" und "effizienter" gesellschaftspolitisch sinnvoller aber wohl kaum.
Demokratisierung überflüssig?
Auch sonst verabschiedet sich Berninger mit großer Geste von grünen Grundpositionen. So in puncto innerer Struktur der Hochschulen. War seine Partei einst mit dem Anspruch aufgetreten, alle Lebensbereiche umfassend zu demokratiseren, stellt ihr hochschulpolitischer Sprecher nun lapidar fest: "Es soll den Hochschulen freigestellt werden, ihre inneren Ordnungen zu überprüfen". Das heißt konkret: Die professorale Mehrheit in den Gremien der "akademischen Selbstverwaltung" soll in Zukunft selber darüber entscheiden, ob sie einen Teil ihrer Macht anderen " z.B. den Studierenden" überlassen wollen. Ein höchst sinnvoller Vorschlag also, der bestimmt dazu führen wird, daß demnächst studentische Mitgestaltung von den ProfessorInnen mit großer Freude angenommen werden.
Ideen wie diese werden noch weniger erträglich dadurch, daß sie mit der Vorstellung gekoppelt sind, "die Politik", also insbesondere die Landesgesetzgeber, müßten sich völlig aus der Hochschule zurückziehen. Die Forderung nach so etwas wie demokratischer Kontrolle der staatlichen Hochschulen wird mit dem nicht unbedingt einleuchtenden Hinweis abgelehnt, nirgendwo sei so viel "Sachverstand" gebündelt wie an den Universitäten.
Demnächst auch für Studiengebühren?
Offensichtlich weil er sich so schön warmgeschrieben hat, fordert Berninger dann auch gleich noch eine weitere Einschränkung des Hochschulzugangs: Weil die Unis eigenes Profil entwickeln müssen, sollten sie sich gleich auch ihre Studierenden selbst aussuchen. Den konsequenten Schritt, die Einführung von Studiengebühren zu fordern, vollzieht Berninger allerdings nicht. So weit geht sein Bedürfnis, sich von den "Bleigewichten der altbackenen sozialdemokratischen Bildungsideologie" zu lösen, offensichtlich (noch) nicht.