"Oft heißt es, sie seien gegen die Heizung gefallen
von tz, Göttinger Tageblatt am 30. 10. 1997
Das Theater im OP hat am Dienstag die erste Diskussionsrunde im Rahmen des 40tägigen Projektes "Gewalt im Spiel" organisiert. Unter dem Titel "Die Angst des Gänseliesels vor . . . " saßen auf dem Podium im Alten Rathaus Dr. Helga Engshuber, Leitende Oberstaatsanwältin, Oberbürgermeister Dr. Rainer Kallmann, Horst Meyer, Vorsitzender des Seniorenbeirates, Karl-Heinz Sermond von der Berufsfeuerwehr, Pastor Peter Lahmann und er Straßenmusikant Jörg Isermeyer. Angela Brünjes, Ressortleiterin Lokales im Göttinger Tageblatt, moderierte die Diskussion zwischen den Podiumsgästen und rund 70 Zuschauern.
"Ich habe ein großes Unbehagen vor der heutigen Diskussion, weil ich fürchte, daß wir nicht auf einen Nenner kommen", sagte Kallmann zu Beginn. Er sollte Recht behalten. Die Beteilgten waren sich lediglich darüber einig, daß Göttingen weiaus harmloser und friedlicher ist als viele andere Städte. Verschiedene Aspekte von Gewalt in Göttingen sollten an diesem Abend angesprochen werden - Gewalt in den Schulen, Mißbrauch von Kindern und Gewalt gegen Frauen waren nur einige Punkte. Lahmann, der als Pfarrer auf dem Leineberg Ausländer betreut, erklärte, daß es weniger Übergriffe auf Flüchtlinge als früher gibt. Er betonte, daß auch von staatlichen Institutionen Gewalt ausgehe - als Beispiel führt er die Verschärfung des Asylgesetzes an. "Die Gutscheinpraxis ist Gewalt gegen Flüchtlinge", warf ein Zuschauer ein. Kallmann betonte, daß in der Stadt im Gegensatz zum Landkreis noch keine Gutscheine zum Einkaufen an Ausländer ausgegeben wurden - dafür kämpfe er auch weiterhin.
Über häusliche Gewalt gegen Frauen wurde außerdem lange diskutiert. Die Feuerwehr muß häufig nicht nur Feuer, sondern auch Familienstreitigkeiten eindämmen. "Wir haben einige Stammkunden aus allen sozialen Schichten", betonte Sermond. Die Beamten treffen dort Frauen mit Platzwunden, Prellungen und anderen Verletzungen. "Oft heißt es, sie seien gegen die Heizung gefallen", berichtete Sermond. Engshuber konnte die "Psychisch verquere Anhänglichkeit" dieser Frauen an ihren Männern nicht verstehen. Auf ihre Aussage hagelte es herbe Publikums-Kritik wie: "Nun wird wieder den Frauen die Schuld zugeschoben". "Seit 20 Jahren wird darüber diskutiert, aber häusliche Gewalt gegen Frauen wird auch heute nicht geächtet", betonte eine Mitarbeiterin vom Göttinger Frauenhaus.
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Verordnung aufheben
von tz, Göttinger Tageblatt am 30. 10. 1997
Der Göttinger Oberbürgermeister, Dr. Rainer Kallmann, hat am Dienstag erklärt, daß er dafür eintreten wird, die sogenannte "Innenstadtsatzung" aufzuheben. Er reagierte damit auf Kritik während der ersten Diskussionsrunde des Projektes "Gewalt im Spiel".
Anlaß waren Äußerungen des Straßemusikers Jörg Isermeyerm der betont hatte, daß oft genug Musikanten und Obdachlose von der Polizei aus Innenstädten vertrieben worden, um eine "saubere Stadt" zu präsentieren. Beispiele aus Göttingen konnte er nicht nennen, weil er selten in der Leinestadt weile.
In Göttingen gibt es seit 1983 die Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Diese besagt unter anderem, daß es in öffentlchen Straßen nicht gestattet ist, "in belästigender Weise zu betteln", sich betrunken dort aufzuhalten, sowie Alkohol zu trinken. Solch eine Verordnung würde Randgruppen ausgrenzen, kritisierte Isermeyer.
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