2.Juli 1996

> Editorial

> Dann soll doch einer klagen..!

> Stichwort: Frauenförderplan

> Geht Briefwählen!

> Kommunale Themen an die Uni

> Bundestreffen der Juso-Hochschulgruppen

> Regionale Verkehrspolitik

> Neuer Vorstandsvorsitzender des Studierendenwerks

v Pragmatisch, passiv, rechts?

Studierende in Göttingen anno 1996 Es gab einmal Zeiten, in denen die Universitäten an der Spitze gesellschaftlicher Reformbewegungen standen. Das ist lange her. Langsam aber kontinuierlich verloren die Unis die politische Meinungsführerschaft. Nun, in der Mitte der 90er Jahre, scheint es so als hätte die Gesellschaft die Hochschulen endgültig eingeholt. Mehr noch, der Anspruch der 68er, die Welt zu verändern, hat sich in sein Gegenteil verkehrt: die Welt hat die Studierenden verändert. Eine kaum wahrgenommene und doch in seinen Konsequenzen radikale Entwicklung. Wie sieht es heute aus?

Studierende 1996: (Quelle: Frankfurter Rundschau, 20. April `96)

Grob sind drei Gruppen von Studierenden auszumachen, die zunehmend das (un)politische Klima auch an der Uni Göttingen bestimmen.
Die Rechte
Rechte Gedanken und Gruppen hat es an den Unis immer gegeben, doch waren sie bis vor wenigen Jahren politisch in der Defensive. Wer rechts war, behielt es für sich oder traf sich in kleinen Zirkeln bzw. Burschenschaften. Das ist heute anders. So wird im rechten Göttinger Lager wieder über die Gründung einer Burschi-Liste bei der nächsten StuPa-Wahl diskutiert, neurechte Positionen und Pamphlete werden auch an der Uni Göttingen zunehmend unverfrorener verbreitet. Das Selbstbewußtsein wächst in dem Maße, wie die Passivität und Verunsicherung bei der Mehrheit der Studierenden zunimmt. Letztlich stellen jene Studis, die sich offen rechtsradikal und reaktionär gerieren, eine kleine Minderheit an der Uni dar. Die konservative Revolution steht (noch) nicht auf der Tagesordnung. Doch zunehmend schafft es die alt-neue Rechte, politische Begriffe zu besetzen und gewinnt so -oft unbemerkt- Einfluß auf die Weltbilder der zukünftigen Intellektuellen und Eliten.
Gefühlslinke und unpolitische Pragmatiker
Zahlenmäßig größer und für das Selbstverständnis der heutigen Studierenden beispielhafter als die radikale Rechte sind jedoch zwei andere "typische" Gruppen: die "Gefühlslinken" und die "unpolitischen Pragmatiker". Beiden gemeinsam ist ein rasant abnehmendes politisches Interesse. Mit dieser Zunahme des politischen Analphabetismus geht ein dramatischer Kompetenzverlust der Studierenden einher. Die Folge ist ein kaum noch vorhandenes politisches Selbstbewußtsein, und dies gerade bei den angeblich noch 61 Prozent der Studierenden, die sich zwar "links fühlen", aber die diese vage Zuordnung weder inhaltlich unterfüttern noch in eigenes Engagement umsetzen wollen oder können. Man ist zwar frustriert und unzufrieden mit Uni und Gesellschaft und bestätigt sich allenthalben gegenseitig, wie schrecklich doch alles ist - und das war`s dann. Sichtbar wird im linken Spektrum -in Göttingen anschaulich zu beobachten- deshalb oft nur eine vulgär-radikale Linke, die zwar zum Mitleids- oder Haßobjekt, nicht aber zum positiven politischen Leitbild taugt.
Während sich viele Gefühlslinke desorientiert und verschüchtert ins Schneckenhaus politischer Unbedarftheit zurückziehen, geben inzwischen die brav und konservativ ausgerichteten Wirtschafts- und RechtswissenschaftlerInnen im akademischen Stimmengewirr zunehmend den Ton an. Hier gibt es noch einige Leute, die "was machen" wollen, doch auch diese Aktivitäten sind meistens unpoltischer Natur. Der derzeitige AStA ist das beste Beispiel dafür - aber auch er repräsentiert nicht die Mehrheit der Studierenden. Selbst bei Mißständen, die alle Studis unmittelbar selbst betreffen (wie z.B. die Einführung von Rückmeldegebühren in Niedersachsen), ist breites studentisches Engagement kaum noch zu mobilisieren. Die spontane Reaktion der allermeisten scheint nicht Protest, sondern ein fataler Pragmatismus zu sein: man "reagiert" auf die stetige Verschlechterung der Studienbedingungen mit der Beschleunigung des Studiums oder der Suche nach einem lukrativeren Studi-Job.
Rückkehr zu bürgerlichen Lebensformen
In diesem Zusammenhang besonders augenscheinlich ist die schleichende und durch die Entpolitisierung beschleunigte Übernahme konventioneller und tendenziell konservativer Denkmuster bei einer Großzahl von Studierenden. Umweltschutz, Gleichberechtigung, alternative Lebensformen waren noch in den 80er Jahren politische Projekte, die sich einer breiten Zustimmung unter Studierenden gewiß sein konnten. Verbal werden solche Themen zwar häufig auch heute noch hochgehalten, doch in der individuellen Realität sind die meisten Studierenden erdrutschartig zu konventionell-bürgerlichen Lebensformen zurückgekehrt. Nicht mal sich selbst möchte man noch ändern, stattdessen orientieren sich die eigenen Lebenspläne an den altbekannten "Werten": Karriere, Sicherheit und materieller Wohlstand. Die eigene politische Ratlosigkeit führt zur unbewußten Anpassung an die neoliberale "Leistungsgesellschaft" und zur Desensibilisierung gegenüber Fragen der sozialen Gerechtigkeit.
Von Uni und Studierenden gehen derzeit keine gesellschaftlichen Impulse aus, und die etablierte Politik scheint diesen Zustand keineswegs zu bedauern, im Gegenteil: die derzeitige Bildungspolitk hat selbst kräftig Anteil daran, daß die Unis immer mehr zum pflegeleicht-politikfreien Raum werden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt...

> Meinungsfreiheit oder Schutz der Ehre?

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