ThOP-LOGO
[theaterstueck]
Schreib mich in den Sand

[presse]


Vom Zerfall einer Familie, die längst tot ist
von Jörg Kruse, Göttinger Tageblatt am 3. 10. 1997

Selbst im Angesicht des Todes wird die Wahrheit noch ausgeblendet: Die Striemen am Hals, die "hat das Blüschen mit dem hohen Stehkragen doch hübsch kaschiert", seufzt die Mutter erleichtert, nachdem sich ihre Tochter in der Garage aufgehängt hat. Über das Leben hinaus bemüht sich die Mutter, den Schein der gutbürgerlichen Familie aufrechtzuerhalten - einen Schein, den die Autorin Inez van Dullemen in ihrem Theaterstück "Schreib mich in den Sand" nachhaltig zerstört.
Elfriede Hans vom Deutschen Theater inszenierte die bemerkenswerte Auseinandersetzung mit dem Thema Kindesmißbrauch, die am Dienstag Premiere im Göttinger ThOP hatte. Ohne es zu wollen, geriet die von Alina Kupisch glänzend gespielte Mutter ständig in den Mittelpunkt. Hat sie nicht den Mißbrauch der Tochter durch den eigenen Vater durch Schweigen und Verharmlosen erst ermöglicht? Das zumindest wirft ihr die jüngere Tochter Judith (Iris Zippel) vor, die zu einem Besuch nach Hause gekommen ist und ein Tagebuch der Schwester findet.
Doch so leicht hat es sich Inez van Dullemen mit den Schuldzuweisungen nicht gemacht. "Schreib mich in den Sand" ist ein vielschichtiges Kammerspiel, das den Zerfall einer Familie zeigt, die schon lange tot ist. Ermordet von einer zu früh geschlossenen Ehe, von der unglücklichen Kindheit des Vaters, von Sprachlosigkeit und peinvoller Scham.
John W. Zielmann spielt den Vater mit Wut auf die ganze Welt und auf sich selbst ebenso überzeugend, wie die anderen Darsteller auftreten. Der langanhaltende Beifall am Ende galt indes der wenig spektakulären, aber umso eindringlicheren Inszenierung im Ganzen.
Rückblenden und das Auftreten der toten Anna (Johanna Senapius) mischen sich in die Auseinandersetzungen Judiths mit ihrer Familie und machen das Ausmaß der Zerstörung deutlich. Am Ende wendet sich Judith angewidert ab und zieht die für sie vielleicht einzig mögliche Konsequenz. Wenn sie ihrer eigenen, noch ungeborenen Tochter jemals eines beibringen will, dann das, was ihre still schweigende Mutter Anna niemals vermitteln konnte: Laut Nein zu sagen.



 zurück zu den Stückinfos

[aktuell] [spielplan] [theaterproduktionen] [diskussionen] [vorträge] [ausstellungen] [mitmachen] [kontakt] [karten] [neues] [fundus]