rotation Nr. 24


rotation Nr. 24 - 4.Juni 1997

> Editorial

>Scheuklappen und Tatsachen
Zu den Pamphleten gegen die Wehrmachtsausstellung

>Ein Jahr für nichts
Bund und Länder treten bei der BAföG-Reform auf der Stelle

vStart der Reihe zum "Deutschen Herbst":
20 Jahre "Mescalero-Affäre"


Vor ziemlich genau 20 Jahren, im April 1977, nahm in Göttingen ein Politskandal seinen Anfang, der ein Schlaglicht auf die Situation dieser Republik zur Zeit der Terroristenpanik aufzeigt. Was mit einem harmlos-wirren Artikel im AStA-Blatt göttinger nachrichten (gn) begann und zunächst nur die Junge Union und die Presse erregte, zog schon bald eine Durchsuchungs- und Razzienwelle in Göttingen nach sich, die bis heute ihres Gleichen sucht. Damit wurde der unselige Geist der politischen Zensur aus der Flasche gelassen, der in Form einer Prozeß-, Verurteilungs- und Entlassungslawine quer durch die damalige Republik wütete, StudentInnen hinter Gitter brachte, Professoren in die Arbeitslosigkeit trieb und schließlich den Glauben an Meinungsfreiheit in der BRD und damit die Republik selbst erschüttert. Die Medien prägten für diese Vorgänge damals den Titel "Mescaleroaffäre", der sich auf den Autor des umstrittenen Artikels bezog. Die Bezeichnung "Staats-Zensur-Affäre" wäre jedoch passender gewesen, da der arme Mescalero an dem, was sich entwikkelte, fast völlig unschuldig war.

Keine Billigung von Gewalt

Im Frühjahr 1977 war der Generalbundesanwalt Siegfried Buback von der RAF ermordert worden. Am 27. April erschien in den "göttinger nachrichten", der Zeitung des AStA ein Nachruf, in dem der Verfasser, eben jener bis heute anonyme "Mescalero", seine "klammheimliche Freude" über das Attentat zum Ausdruck brachte, gleichzeitig aber die terroristische Praxis kritisierte. Seiner Meinung nach dürfe der "Weg zum Sozialismus nicht mit Leichen gepflastert sein." Auch wenn Stil und Diktion des Artikels mit dem Titel "Buback - Ein Nachruf" teilweise recht zynisch sind, enthalten sie doch eine klare Abgrenzung von der Gewalt. Nicht so sah das der damalige Göttinger RCDS. Bereits am 29. April erstattete er Strafanzeige bei der Göttinger Staatsanwaltschaft wegen Billigung des Buback-Mordes nach § 189 StGB ("Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener") und schrieb der Uni-Leitung einen offenen Brief, in dem er zu Maßnahmen gegen den linken AStA aufrief.
Zunächst reagierten weder Universität noch Staatsanwaltschaft, wohl aber die Medien. Die sonst so liberale "Frankfurter Rundschau" warf dem Verfasser in einem Kommentar am 6. Mai "blanken Faschismus" vor. "Die Zeit" fand, daß ein solcher Artikel auch im antisemitischen Hetzblatt "Der Stürmer" stehen könne. All diesen Artikeln ist gemein, daß sie, wenn sie überhaupt Passagen des Buback-Nachrufs zitieren, nur die aufgreifen, in der der Autor die legendäre "klammheimliche Freude" über das Dahinscheiden Bubacks äußert. Schon hier, vor Eingreifen des Staates, zeigt sich "Zensur" als Mittel zum Erreichen einer politischen Botschaft: Der Text soll diffamiert werden und das ist nur zu erreichen, indem er verfälscht - und somit auch schon "zensiert" dargestellt wird.
Medienhetze hat Erfolg

Nachdem sich die Stimmung über einen Monat hinweg angeheizt hatte, konnte sich die Göttinger Staatsanwaltschaft dann nicht mehr zurückhalten: "Am 27. Mai. 1977 haben in einer der größten Durchsuchungsaktionen mit Hilfe von mehreren hundert Polizeibeamten (u.a.) zwölf Staatsanwälte das Gebäude des Allgemeinen Studentenausschusses der Universität, die AStA-Drukkerei durchsucht", berichtete damals die FAZ.
Der Artikel der göttinger nachrichten war nun de facto verboten. Zu spüren bekamen das diejenigen, die, um Gegenöffentlichkeit zu schaffen, den Artikel nachdruckten. Es waren größtenteils Studierende und ProfessorInnen, die nachweisen wollten, daß "Mescalero" eben nicht den Terror gutheißt, sondern sich von ihm distanziert. Statt mit dieser Strategie Erfolg zu haben, wurden sie fast überall angeklagt. Neben der Justiz war auch die Politik höchst aktiv: So forderte der CDU-Politiker Dregger, die "Trockenlegung der Universitäten als geistigem Sumpf des Anarchismus". Wer Dinge schreibt, die nicht political correct im Sinne der öffentlichen Meinung oder des Staates selbst sind, wird entlassen, geächtet, aus der Gesellschaft ausgestoßen. Das ist zwanzig Jahre her, die Terroristen- und "Symphatisanten"-Hetze ist vorbei, das Thema aber aktueller denn je. Als im letzten Jahr die Redaktion einer linken Zeitschrift zu einer kriminellen Vereinigung nach § 129 erklärt und die Zeitung verboten wurde, schwieg die Öffentlichkeit. Als wegen eines satirischen Anti-AKW-Flugblatts in ganz Niedersachsen Hausdurchsuchungen stattfanden, schwieg die Öffentlichkeit. Und als im April 1997, fast genau am 20. Jahrestag des Mescalero-Artikels, wiederum in Göttingen eine Ausgabe der Zeitschrift "Göttinger Drucksache" beschlagnahmt und die Redaktion durchsucht wurde, schwieg die Öffentlichkeit ebenfalls.

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